Sonntag 11. August 2019
Die Geschichte der Gottesbilder - Alter Orient
Der Götterkönig: Gilgamesh
1 Ein Verborgenes, Gilgamesh, will ich dir eröffnen, / 2 Und der Götter Geheimnis will ich dir sagen. / / 3 Shurippak – eine Stadt, die du kennst, / 4 Die am Ufer des Eufrats liegt -, / 5 Diese Stadt war schon alt und die Götter darinnen, / 6 Eine Sintflut zu machen, entbrannte das Herz den grossen Göttern. / 7 Miteinander berieten sich ihr Vater Anu, / 8 Enlil, der Held, der sie berät, / 9 Ihr Minister Ninurta, / 10 ihr Deichgraf Ennugi, / 11 Ninshiku-Ea hatte mit unter ihnen gesessen. / / 12 Ihre Rede gab einem Rohrhaus er wieder: / 13 „Rohrhaus, Rohrhaus! Wand, Wand! / 14 Rohrhaus, höre, Wand, begreife! / 15 Mann von Shurippak, Sohn Ubar-Tutus! / 16 Reiss ab das Haus, erbau ein Schiff, / 17 Lass fahren Reichtum, dem Leben jag nach! / 18 Besitz gib auf, der Seele erhalt das Leben! / 19 Heb hinein allerlei beseelten Samen ins Schiff! / 20 Das Schiff, welches du erbauen sollst, / 21 Dessen Masse sollen abgemessen sein, / 22 Gleich gemessen seien ihm Breite und Länge; / 23 Du sollst es wie das Apsu bedachen.“ / / 24 Da ich´s verstanden, sprach ich zu Ea, meinem Herrn: / 25 „Das Geheiss, Herr, das du mir gegeben, / 26 Ich achtete wohl darauf und werde danach tun. / 27 Wie antwort ich aber der Stadt, der Bürgerschaft und den Ältesten?“ / 28 Ea tat zum Reden den Mund auf / 29 Und sprach zu mir, seinem Knecht: / 30 „Du Mann, zu ihnen sollst du also reden: / 31 Mir scheint, dass Enlil nichts mehr von mir wissen will. / 32 Da darf ich in eurer Stadt nicht mehr wohnen, / 33 Darf auf Enlils Boden meine Füsse nimmer setzen. / 34 So will ich steugen hinab zum Apsu. / 35 Dann wohn ich bei meinem Herren Ea. / 36 Auf euch aber lässt er dann Überfluss regnen, / 37 Sammlung der Vögel, auch Bergung der Fische! / 38 Schenken wird er euch Reichtum und Ernte. / 39 Am Morgen wird er Linsen, / 40 Am Abend auf euch einen Weizenregen niedergehen lassen!“ / / 41 Kaum dass ein Schimmer des Morgens graute, / 42 Versammelte zu mir sich das land. / 43 Der Zimmermann brachte die Holzpfosten, / 44 Der Bootsbauer brachte die Klammern (…) / 45 Das Schiff war fertig am siebenten Tag bei Sonnenuntergang (…) / / 46 Was immer ich hatte, lud ich darein: / 47 Was immer ich hatte, lud ich darein an Silber, / 48 Was immer ich hatte, lud ich darein an Gold, / 49 Was immer ich hatte, lud ich darein an allerlei Lebenssamen: / 50 Steigen liess ich ins Schiff all mein Geschlecht und Sippe, / 51 Wild des Feldes, Getier des Feldes, / 52 Alle die Meistersöhne habe ich hineinsteigen lassen. / / 53 Die Frist hatte Shamash mir so angesetzt: / 54 “Am Morgen werd ich Linsen, am Abend Weizenregen niedergehen lassen. / 55 Dann tritt hinein ins Schiff und verschliess dein Tor!“ / 56 Diese Frist kam herbei: / 57 Am Morgen gingen Linsen nieder, am Abend ein Weizenregen. / 58 Des Wetters Aussehen betrachtete ich. / 59 Das Wetter war fürchterlich anzusehn. / 60 Ich trat hinein ins Schiff und verschloss mein Tor. / 61 Dem Schiffer Pusur-Amurri, dem Verpicher des Schiffes, / 62 Übergab den Palast ich samt seiner Habe. / / 63 Kaum dass ein Schimmer des Morgens graute, / 64 Stieg schon auf von der Himmelsgründung schwarzes Gewölk. / 65 In ihm donnert Adad, / 66 Von ihm her ziehen Shullat und Chanish. / 67 Über Berg und Land als Herolde ziehen sie. / 68 Eragal reisst den Schiffspfahl heraus, / 69 Ninurta geht, lässt das Wasserbecken ausströmen, / 70 Die Anunnaki hoben Fackeln empor / 71 Mit ihrem grausen Glanz das Land zu entflammen. / 72 Die Himmel überfiel wegen Adad Beklommenheit, / 73 Jegliches Helle in Düster verwandelnd; / 74 Das Land, das weite, zerbrach wie ein Topf. / 75 Einen Tag lang wehte der Südsturm, / 76 Eilte dreinzublasen, die Berge ins Wasser zu tauchen, / 77 Wie ein Kampf zu überkommen die Menschen. / 78 Nicht sieht einer den andern, / 79 Nicht sind die Menschen erkennbar im Himmel. / / 80 Vor dieser Sintflut erschraken die Götter, / 81 Sie entwichen hinauf zum Himmel des Anu. / 82 Die Götter kauern wie Hunde, sie lagern draussen! / 83 Es schreit Ishtar wie eine Gebärende, / 84 Es jammert die Herrin der Götter, die schönstimmige: / 85 „Wäre doch jener Tag zu Lehm geworden, / 86 Da ich in der Schar der Götter Schlimmes geboten! / 87 Wie konnte in der Schar der Götter ich Schlimmes gebieten! / 88 Den Kampf zur Vernichtung meiner Menschen gebieten! / 89 Erst gebäre ich meine lieben Menschen, / 90 Dann erfüllen sie wie Fischbrut das Meer!“ / 91 Die Anunnaki-Götter klagen mit ihr, / 92 Die Götter … sitzen in Klagen, / 93 Mit verdorrten Lippen … / / 94 Sechs Tage und sieben Nächte / 95 Geht weiter der Wind, die Sintflut, / 96 Ebnet der Südsturm das Land ein. / 97 Wie nun der siebente Tag herbeikam, / 98 Schlug nieder der Südsturm die Sintflut, den Kampf, / 99 Nachdem wie eine Gebärende sie um sich geschlagen. / 100 Ruhig und still ward das Meer, / 101 Der Orkan war aus und die Sintflut. / / 102 Nach dem Festland hielt ich Ausschau: Schweigen ringsum, / 103 Und das Menschengeschlecht ganz zu Erde geworden! / 104 Gleichmässig war wie ein Dach die Aue. / 105 Da tat ich eine Luke auf, Sonnenglut fiel aufs Antlitz mir. / 106 Da kniete ich nieder, am Boden weinend, / 107 Über mein Antlitz flossen die Tränen / 108 Nach Ufern hielt ich Ausschau in des Meeres Bereich: / 109 Auf zwölfmal zwölf Ellen stieg auf eine Insel. / / 110 Zum Berg Nissir trieb heran das Schiff. / 111 Der Berg Nissir erfasste das Schiff und liess es nicht wanken (…) / 112 Wie nun der siebente Tag herbeikam, / 113 Liess ich eine Taube hinaus. / 114 Die taube machte sich fort – und kam wieder: / 115 Kein Ruheplatz fiel ihr ins Auge, da kehrte sie um. / 116 Eine Schwalbe liess ich hinaus. / 117 Die Schwalbe machte sich fort – und kam wieder: / 118 Kein Ruheplatz fiel ihr ins Auge, da kehrte sie um. / 119 Einen Raben liess ich hinaus. / 120 Auch der Rabe machte sich fort; da sah er, wie das Wasser sich verlief. / 121 Frass er, scharrte, wippte – und kehrte nicht um. / / 122 Da liess ich hinausgehn nach den vier Winden; ich brachte ein Opfer dar, / 123 Ein Schüttopfer spendete ich auf dem Gipfel des Berges: / 124 Sieben und abermals sieben Räuchergefässe stellte ich hin. / 125 In ihre Schalen schüttete ich Süssrohl, Zedernholz und Myrte. / 126 Die Götter rochen den Duft, / 127 Die Götter rochen den wohlgefälligen Duft. / 128 Die Götter scharten wie Fliegen sich um die Opferer. / / 129 Sobald wie die Mach herzugekommen, / 130 Hob sie die grossen Fliegengeschmeide empor, / 131 Die Anu ihr zum Vergnügen gemacht: / 132 „Ihr Götter hier, so wahr des Lasuramuletts / 133 An meinem Hals ich nicht vergesse, / 134 Will ich die Tage hier, fürwahr, mir merken, / 135 Dass ewig ihrer ich nicht vergesse! / 136 Die Götter mögen nur kommen zum Schüttopfer! / 137 Doch Enlil soll nicht kommen zum Schüttopfer, / 138 Weil er unüberlegt die Sintflut machte / 139 Und meine Menschen dem Verderben anheimgab!“ / 140 Sobald wie Enlil herzugekommen, / 141 Sah das Schiff und ergrimmte Enlil. / 142 Voller Zorn war er über die Igigi-Götter: / 143 „Eine Seele wäre entronnen? / 144 Überleben sollte niemand das Verderben!“ / 145 Ninurta tat zum Reden den Mund auf / 146 Und sprach zu Enlil, dem Helden: / 147 „Wer bringt denn etwas hervor ausser Ea? / 148 Auch kennt ja Ea jedwede Verrichtung!“ / 149 Ea tat zum Reden den Mund auf / 150 Und sprach zu Enlil, dem Helden: / 151 „O Held, du klügster unter den Göttern! / 152 Ach, wie machtest du unüberlegt die Sintflut!“ tvz
Babylon: Gilgamesh-Epos (Gilg 11,9-51.76.80-141.145-179)
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