Provokation
Herausforderung
Provokation
Wie hat es die nationalsozialistische Propaganda geschafft, dass die jüdischen Mitbürger*innen ihres Lebens nicht mehr sicher sein konnten? Sie hat verächtlichmachende Geschichten über „die Juden“ erzählt. Einzelne Fehlverhalten wurden als „typisch für die Juden“ geframed. Irgendwann wurden auch einfach Geschichten erfunden. Die Entfernung der Juden aus dem „Volkskörper“ wurde dann als „Notwehr“ bezeichnet. Ein kompromissloses Vorgehen wurde gefordert. Jetzt nur mal bis hierher!
Friedrich Merz erzählt in einer Talkshow, dass „die“ migrantischen Kinder sich in der Schule wie „kleine Paschas“ aufführen. Im Bundestag berichtet er von „täglichen Gruppenvergewaltigungen im migrantischen Milieu“ und ruft den „Notstand“ aus, um seine völkerrechtswidrigen Vorschläge zu begründen und mit einer (in Teilen) faschistischen Partei gemeinsam abzustimmen. Und es wird ihm durch steigende Zustimmungszahlen gedankt.
Die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber dass Menschen mit denselben Methoden immer wieder verführbar sind, stimmt eben auch.
Georg Rieger
Politiker*innen richten ihre Aufmerksamkeit gerne auf die Themen, die die Bevölkerung am meisten bewegen. Das ist zunächst alles andere als verwerflich. Allerdings ist die Demokratie, die wir in Deutschland haben, nach den Erfahrungen der Geschichte ganz bewusst keine direkte, sondern eine repräsentative. Das bedeutet, dass die Politik nicht von den Meinungen der Bevölkerung getrieben sein soll, sondern vorausschauend.
Die unmittelbaren Reflexe der Bevölkerung würden zu Entscheidungen führen, die den Menschen mittel- oder langfristig mehr schaden als nützen. Davor haben sie die Politiker*innen zu schützen, die dafür gewählt sind, das Wohl aller im Blick zu haben und vorausschauend zu entscheiden. Das gilt umso mehr in einer Zeit, in der Meinungen durch soziale Medien und durch finanzstarke oder feindliche Einflussnahme manipuliert werden.
Das wichtigste Thema ist gerade fast unwidersprochen die Migration. Fast kein dafür angeführtes Argument hält allerdings der Faktenprüfung stand. Die beschworene Gefährdung der Bevölkerung ist völlig irrational. Und werden die Menschen danach gefragt, was sie persönlich am meisten betrifft, sind die Themen auch ganz andere. Die wirklich wichtigen nämlich: Die bevorstehende Klimakatastrophe und die immer größer werdende soziale Ungleichheit. Was wäre also die Aufgabe der Politik in einer repräsentativen Demokratie?
Georg Rieger
"Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich. (...)
Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können.
Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen. In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen zu wissen, was „das Volk“ eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist – immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei, sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.
Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen."
Dietrich Bonhoeffer, Von der Dummheit. In: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. S. 17–20
Georg Rieger RefApp
Der neugewählte US-Präsident Donald Trump hat mit einer Tradition nicht gebrochen und den interreligiösen Gebetsgottesdienst besucht, der traditionell nach der Amtseinführung in der Washington National Cathedral stattfindet. Bei diesem Gottesdienst haben die religiösen Führungspersönlichkeiten des Landes die Gelegenheit, dem Präsidenten Botschaften mitzugeben.
Darunter war auch die Bischöfin der (anglikanischen) Episkopalkirche im Bistum Washington Mariann Budde. Sie hat die Gelegenheit genutzt, auf die Ängste vieler Menschen im Land vor den angekündigten Maßnahmen der neuen Regierung hinzuweisen. Und sie hat um Gnade gebeten. In der Kirche herrschte beklemmende Stille, weil alle die Botschaft hinter den Worten verstanden: Hier sitzt einer, der sich als Gesandter Gottes inszeniert, aber keine Gnade kennt.
Die ihm hingehaltene Bibel hat Donald Trump bei seiner zweiten Vereidigung nicht berührt. Anders damals am 1. Juni 2020 während seiner ersten Amtszeit. Da hat er als Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Proteste ein Fotoshooting mit hochgehaltener Bibel vor der St. John’s Episcopal Church in Washington veranstaltet und dafür Demonstranten gewaltsam aus dem Weg räumen lassen. Aus der Kirche kam damals scharfe Kritik an diesem Missbrauch der Bibel von – genau: Mariann Edgar Budde.
Georg Rieger RefApp
„Die Selbstbeschreibung als woke ist indessen rückläufig“, heißt es treffend im wikipedia-Artikel über den Begriff. „Wokeness ist vorwiegend negativ konnotiert“. Woke ist im afroamerikanischen Sprachgebrauch eine Variante von woken: aufmerksam, wachsam. 2014 wurde „Stay woke!“ zum Kampfbegriff der Black-Lives-Matter-Bewegung und ruft zur Wachsamkeit gegenüber Rassismus und Polizeigewalt auf.
Rechten und rechtsextremen Gruppen ist es auf perfide Art gelungen, genau diesen Begriff zum Schimpfwort umzudeuten: Vom „woken Wahnsinn“ und einer „woken Elite“ ist in den sozialen Medien zu lesen. Die sogenannten „normalen Leute“ sollen sich das Recht zurückerobern, sexistisch und rassistisch reden und handeln zu können.
Aber auch in konservativen Kreisen ist davon die Rede, dass es eine übertriebene Achtsamkeit gegenüber Minderheiten gibt und dass diese bekämpft werden müsse. Das hinter solchen Forderungen stehende Menschenbild ist mindestens fragwürdig. Mag sein, dass wir in einer Zeit leben, in der es aussichtslos ist, den Begriff zurückzuerobern. Aber es bleibt trotzdem ein Auftrag: Stay woke!
Georg Rieger RefApp
„‘Desinformation‘ sind nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können.“
So definiert die Europäische Kommission 2018 die Gefahr für Gesellschaft und Demokratie. In der Folge vereinbarte sie mit den Medienkonzernen eine Selbstverpflichtung zur Beseitigung von Desinformationen. Diese Selbstverpflichtung wurde nur halbherzig umgesetzt. Immer wieder gab es Sanktionen wegen grober Verstöße. Jetzt haben sich X (vormals Twitter) und der Meta-Konzern mit Facebook und Instagram von jeglichem Fakten Checking verabschiedet – angeblich, weil dieses politisch motiviert sei.
https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/online-disinformation
Georg Rieger
Hannah Arendt, Willy Brandt, Bertolt Brecht, Albert Einstein, Thomas Mann … sie wurden ausgebürgert, weil die Nationalsozialisten sie aus dem Volkskörper ausschließen wollten. Die Eltern des Grundgesetzes haben die Lehre gezogen und den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit auch bei Straffälligkeit oder anderen Gründen ausgeschlossen. Einzige Ausnahme ist, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Einbürgerung erschlichen wurde.
Es ist eine Forderung, die der Kanzlerkandidat Friedrich Merz aufstellt, die gar nicht umsetzbar ist und doch Folgen hat: Millionen Deutsche fühlen sich als Bürger*innen zweiter Klasse. Manche bangen um ihre Sicherheit, die eh schon durch die wachsende rassistische Gewalt bedroht ist.
Generalsekretär Carsten Linnenmann forderte neulich ein Verzeichnis der psychisch Kranken. Es bleibt zu hoffen, eine Partei, die sich christlich nennt und als bürgerlich versteht, nach dem Wahlkampf wieder zur Besinnung kommt.
Georg Rieger RefApp