Provokation

Herausforderung

Absurdes und Nachdenkenswertes aus den sozialen Medien kommentiert von Georg Rieger

Binäre Ernährung

„Vegetarisch oder vegan?“ lautet die Frage im Regierungsflugzeug, wenn Robert Habeck mit Wirtschaftsvertreter*innen und Journalist*innen unterwegs ist. Der ARD-Korrespondent Oliver Sallet sieht dadurch die Freiheit „über den Wolken“ gefährdet und erinnert an den vermeintlich fatalen Vorschlag eines „Veggie-Day“ im Wahlkampf 2013.

So ein Flug mag schon mal acht/neun Stunden dauern und zwei Mahlzeiten beinhalten. Zeit genug, um arglosen Mitreisende nicht nur tierische Eiweiße zu verweigern, sondern sie auch ernährungstechnisch „umzudrehen“. Wie gut, dass die aufmerksame Presse diesen Eingriff in die Freiheitsrechte aufgedeckt hat. Einfach mal vegetarisch essen – das geht überhaupt nicht!

Der Fleischkonsum ist nicht nur ungesünder und einseitiger als das meiste vegetarische und sogar vegane Essen. Bis das Fleisch verzehrt wird, haben die verbleibenden Nährstoffe 5-20 mal mehr CO2 verbraucht als Gemüse. 


Georg Rieger, Nürnberg
Wollen oder dürfen?

Laut Christian Lindner wendet der Staat „Milliarden Euro auf, um Menschen zu unterstützen, die nicht arbeiten“. Die Aussage stimmt und ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für billigen Populismus. Im moralischen Sinn falsch wird der Satz nämlich durch das einfache Weglassen des Modalverbs. Um die beabsichtigte Einsparung von Sozialausgaben zu begründen, muss der Satz mit „wollen“ ergänzt werden. In den meisten Fällen wäre aber „dürfen“ richtig, denn einer großen Gruppe der Bürgergeldempfänger*innen, den Asylsuchenden nämlich, wird das Recht zu arbeiten verweigert oder unnötig erschwert.

Nicht nur, dass dieses Arbeitsverbot und die bürokratischen Auflagen viel Geld kosten, sie setzen die Betroffenen auch dem Sozialneid aus – mit allen bekannten Folgen. Dieses Heraushalten aus dem Arbeitsmarkt rührt noch aus einer Zeit, in der man dem Argument „Die nehmen uns die Arbeit weg“ begegnen wollte. Statt den Schritt zu tun, den Experten empfehlen, nämlich alle arbeiten zu lassen, die sich im Land befinden, wird weiter populistische Symbolpolitik – Stichwort Bezahlkarte – betrieben.


Georg Rieger, Nürnberg
'Scheiß-Umfrage'

Bundestrainer Julian Nagelsmann ist nicht begeistert, dass ausgerechnet kurz vor der EM eine Umfrage erschien, nach der 21 Prozent der deutschen Bevölkerung sich eine Nationalmannschaft mit mehr weißen Spielern wünschen. „Absolut kontraproduktiv“ findet das auch Joshua Kimmich, weil er die Spieler mit Migrationshintergrund für bestens in die Mannschaft integriert hält.

Der Hintergrund der Umfrage ist allerdings schon auch interessant: Der Dokumentarfilmer Philipp Awounou wurde während seiner Recherchen und Dreharbeiten gerade mit dieser Frage nach den zu vielen ausländischen Spielern immer wieder konfrontiert und wollte wissen, wie repräsentativ diese Vorurteile sind.

Der Prozentsatz deckt sich mit anderen Erhebungen und ist daher wenig überraschend. Je nachdem, wie die Nationalmannschaft im Turnier abschneidet, wird der latente Rassismus ein bisschen weniger laut oder lauter. So einfach ist das – leider.


Georg Rieger, Nürnberg
Sinnvoll

„Schwachsinnig“ nennt Friedrich Merz in der Diskussion bei Maybrit Illner das „Heizgesetz“ von Robert Habeck. Wohlgemerkt das beschlossene Gebäudeenegiegesetz, das Hausbesitzenden ermöglich mit 55 – 70 Prozent Förderung bei nächster Gelegenheit von einer schädlichen und immer teurer werdenden Heizart auf eine umweltschonende und weitgehend autarke umzusteigen.

Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme dazu: „Heute sind Erdöl und Erdgas noch billig. Ohne Verbote würden viele Menschen weiter Öl- und Gasheizungen einbauen. Die Klimaschutzziele werden so immer unerreichbarer. Und die schnell steigenden Kosten würden für viele ein immer größeres Problem, die dann auf der falschen Heizung sitzen.“

An diesem Punkt wäre es sinnig, wenn alle Verantwortungsträger*innen parteitaktische Beweggründe zurückstellen könnten und gemeinsam dafür werben, dass alle das jeweils Sinnvollste tun. 


Georg Rieger RefApp
Generierte Gefühle

Mutmaßlich sind es in farbige Stoff gewickelte Leichen, die zu zehntausenden auf sandigem Wüstenboden feinsäuberlich aufgereiht liegen. Im Hintergrund schneebedeckte Berge. Sonnenuntergangsstimmung. In der Mitte des Bildes formen größere weiße Leichensäcke den Satz: „ALL EYES ON RAFAH“. 

Dieses Online-Plakat wurde wohl als Reaktion auf den versehentlichen Raketenangriff Israels auf ein Flüchtlingszeltlager und als Hinweis auf die verheerende Situation in Gaza allgemein verstanden und millionenfach geteilt. Stundenlang erschien es in jeder zweiten Instagram-Story und allen anderen Kanälen.

Die Bildsprache hätte schon stutzig machen können. Das Foto ist ganz offensichtlich KI-generiert. Die Bestandteile sind völlig absurd zusammengebastelt, nur um ein gleichsam krasses wie schönes Bild abzugeben, das Gefühle auslöst. Der kreative Urheber des Plakats ist ein malaysischer Hamas-Anhänger. 


Georg Rieger RefApp
Die Strohfrau-Taktik

Der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer hat den Feminismus für tot erklärt. Und er hat erstaunlich stichhaltige Gründe dafür, dass eines seiner Lebensziele nun erreicht scheint. 

Es gibt da nämlich an amerikanischen Elite-Universitäten Studierende, die gegen die israelischen Militäraktionen in Gaza demonstrieren. Unter ihnen sind auch einige hundert junge Frauen, die ihre Solidarität für die leidende Bevölkerung dort zum Ausdruck bringen und meinen, auch den palästinensischen Befreiungskampf unterstützen zu müssen. Laut Fleischhauer „beten“ sie damit „muslimische Vergewaltiger an“. Und damit haben sie jetzt leider das Selbstbestimmungsrecht der Frauen weltweit und für alle Zeit verwirkt.

Wer sich diese intellektuelle Glanzleistung antun und noch mehr Strohmann-Argumente nachlesen will: https://www.focus.de/politik/meinung/focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-der-feminismus-ist-tot_id_259953499.html


Georg Rieger, Nürnberg
Die wollen gar nicht, dass es allen gut geht.

Der Vorwurf, ein „Gutmensch“ zu sein, ist verstörend und hinterlässt einen ratlos. Gibt es eine Alternative dazu, gut sein zu wollen? Die auf Instagram sehr präsente Europa-Spitzenkandidatin der SPD Katharina Barley hat es auf den Punkt gebracht: „Es gibt Menschen, die wollen gar nicht, dass es allen gut geht. Das fiel mir wie Schuppen von den Augen. Die wollen das einfach nicht! Ich hatte das irgendwie nicht auf dem Schirm. Ich habe gedacht, eigentlich wollen das alle und haben nur verschiedene Wege dahin. Ne! Es gibt Menschen, die sagen: Damit es einigen sehr gut gehen kann, muss es eben anderen auch schlecht gehen.“

Diesen Eindruck gewinnt man aus manchen politischen Entscheidungen, aber auch in vielen Diskussionen. So ausdrücklich sagt das natürlich selten jemand. Doch die Beschimpfung und Bedrohung von Menschen, die sich um andere kümmern, zeigt wie verbreitet diese von Barley beschriebene Einstellung ist.

katharina.barley/Instragram 16.5.24


Georg Rieger RefApp
Heimchen am Herd

Auf TikTok boomt ja allerhand reaktionärer Mist. Einer davon ist das Lebenskonzept der „Tradwife“. Eine solche „Traditionsfrau“ ist eine, die bewusst zuhause bleibt, auf Erwerbsarbeit verzichtet, ihrem Mann den Rücken freihält und seine Karriere unterstützt. Es geht so weit, dass auch der Kleidungsstil der 50er Jahre gehypt wird. Und noch schlimmer: Auch Gewalt in der Ehe wird als hinzunehmende Möglichkeit bezeichnet.

Natürlich ist es nicht verwerflich, wenn Frauen oder Männer familiäre Care-Arbeit zum Lebensinhalt machen. Aber darum geht es überhaupt nicht. Die Verherrlichung der klassischen Frauen- und Mutterrolle ist dazu gedacht, ausschließlich Frauen nicht nur an den Herd zu bannen, sondern auch aus der Öffentlichkeit zu eliminieren.

Solche Vorstellungen von der vermeintlich hierarchisch-geordneten Familienwelt treffen einen Nerv bei verunsicherten Jugendlichen. Sie sind Wasser auf die Mühlen derer, die Gleichberechtigung und Diversität ablehnen. Und um es ganz groß einzuordnen: Diese Rollenzuweisung der Frau ist Teil eines im Grunde faschistischen Menschenbildes, das weltweit im Kommen ist und von den Autokraten dieser Tage geteilt wird.

Eine ganze Reihe von Provokationen (im guten Sinn) bietet die monatliche Kolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert (https://eulemagazin.de/kolumnen/). Ihr Thema sind Kinder, Jugendliche, deren Familien und ihr Platz in der Kirche. Entstanden ist die Kolumne in der Corona-Zeit. Die Autorin ist Erziehungswissenschaftlerin, Eltern- und Familienberaterin. In der März-Ausgabe beschäftigte sich Albert mit dem Phänomen der „Tradwives“


Georg Rieger, Nürnberg
Anstand und Höflichkeit

Gegen Gender-Verbote in Sachsen und Bayern argumentiert der katholische Moraltheologe Gerhard Marschütz in einem Interview mit der tageszeitung (taz):

„Man kann nicht nicht gendern, würde ich in Anlehnung an Paul Watzlawick sagen. Man hat immer ein bestimmtes Verständnis von Geschlecht, das man in die Sprache einbringt. (...) Wenn eine dritte Geschlechtsoption verbindlich zugesagt ist, dann ist die Frage, wie sich das sprachlich zeigt. Und nichts anderes wird versucht mit einem Doppelpunkt oder Unterstrich. Es ist der Versuch, über Sprache Anstand und Höflichkeit auch jenen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, die sich in einer geschlechtlich-binär strukturierten Sprache nicht wiederfinden.“

Das ganze Interview unter: https://taz.de/Moraltheologe-ueber-Gender-Verbot/!5996645/


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Osterlachen

Ostern bringt in den sozialen Medien viel Humoriges zu Tage, aber auch Hohn und Spott. joni beklagt auf bluesky die fehlenden Zwischenschritte zwischen Kreuzigung und farbigen Ostereiern und bekommt viele lustige Lösungsvorschläge (tatsächlich auch schlaumeierische Erklärungen). Wenig Verständnis gibt es in social media für das Tanzverbot aber auch einen witzigen Kompromissvorschlag: Tanzen ja, aber dabei traurig schauen (Postillon).

Johann van de Bron fragt sich, wie "man einem Außerirdischen das Christentum erklären würde, ohne dabei zu lachen". Aber warum denn nicht lachen? Manche unserer religiösen Gewohnheiten sind doch objektiv betrachtet wirklich komisch. Die Rabbi-Witze im Judentum sind ein gutes Vorbild dafür, dass sich Religionen auch über ihre eigenen Inhalte und Gewohnheiten lustig machen können ohne sich damit einen Zacken aus der Krone zu brechen.

An Ostern im Gottesdienst einen Witz zu erzählen, war in manchen Regionen jahrhundertelang selbstverständlich. Dieser Brauch hat gerade wieder Konjunktur. Wenn, dann bitte eben von dieser Qualität: Nicht über Andere lustig machen, sondern über sich selbst! 


Georg Rieger, Nürnberg
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