Provokation

Herausforderung

Absurdes und Nachdenkenswertes aus den sozialen Medien kommentiert von Georg Rieger

Bilder aus Gemeinden zum 500-jährigen Zürcher Abendmahl Evangelisch-reformierte Gemeinde Magdeburg © Christoph Goos
Wie Bonhoeffer sagt:

"Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich. (...)
Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können. 
Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen. In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen zu wissen, was „das Volk“ eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist – immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei, sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist. 
Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen."

Dietrich Bonhoeffer, Von der Dummheit. In: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. S. 17–20


Georg Rieger, Nürnberg
Zweite Begegnung

Der neugewählte US-Präsident Donald Trump hat mit einer Tradition nicht gebrochen und den interreligiösen Gebetsgottesdienst besucht, der traditionell nach der Amtseinführung in der Washington National Cathedral stattfindet. Bei diesem Gottesdienst haben die religiösen Führungspersönlichkeiten des Landes die Gelegenheit, dem Präsidenten Botschaften mitzugeben.

Darunter war auch die Bischöfin der (anglikanischen) Episkopalkirche im Bistum Washington Mariann Budde. Sie hat die Gelegenheit genutzt, auf die Ängste vieler Menschen im Land vor den angekündigten Maßnahmen der neuen Regierung hinzuweisen. Und sie hat um Gnade gebeten. In der Kirche herrschte beklemmende Stille, weil alle die Botschaft hinter den Worten verstanden: Hier sitzt einer, der sich als Gesandter Gottes inszeniert, aber keine Gnade kennt.

Die ihm hingehaltene Bibel hat Donald Trump bei seiner zweiten Vereidigung nicht berührt. Anders damals am 1. Juni 2020 während seiner ersten Amtszeit. Da hat er als Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Proteste ein Fotoshooting mit hochgehaltener Bibel vor der St. John’s Episcopal Church in Washington veranstaltet und dafür Demonstranten gewaltsam aus dem Weg räumen lassen. Aus der Kirche kam damals scharfe Kritik an diesem Missbrauch der Bibel von – genau: Mariann Edgar Budde.


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Stay woke!

„Die Selbstbeschreibung als woke ist indessen rückläufig“, heißt es treffend im wikipedia-Artikel über den Begriff. „Wokeness ist vorwiegend negativ konnotiert“. Woke ist im afroamerikanischen Sprachgebrauch eine Variante von woken: aufmerksam, wachsam. 2014 wurde „Stay woke!“ zum Kampfbegriff der Black-Lives-Matter-Bewegung und ruft zur Wachsamkeit gegenüber Rassismus und Polizeigewalt auf.
Rechten und rechtsextremen Gruppen ist es auf perfide Art gelungen, genau diesen Begriff zum Schimpfwort umzudeuten: Vom „woken Wahnsinn“ und einer „woken Elite“ ist in den sozialen Medien zu lesen. Die sogenannten „normalen Leute“ sollen sich das Recht zurückerobern, sexistisch und rassistisch reden und handeln zu können.
Aber auch in konservativen Kreisen ist davon die Rede, dass es eine übertriebene Achtsamkeit gegenüber Minderheiten gibt und dass diese bekämpft werden müsse. Das hinter solchen Forderungen stehende Menschenbild ist mindestens fragwürdig. Mag sein, dass wir in einer Zeit leben, in der es aussichtslos ist, den Begriff zurückzuerobern. Aber es bleibt trotzdem ein Auftrag: Stay woke!


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Prüfet alles und behaltet das Gute!

„‘Desinformation‘ sind nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können.“
So definiert die Europäische Kommission 2018 die Gefahr für Gesellschaft und Demokratie. In der Folge vereinbarte sie mit den Medienkonzernen eine Selbstverpflichtung zur Beseitigung von Desinformationen. Diese Selbstverpflichtung wurde nur halbherzig umgesetzt. Immer wieder gab es Sanktionen wegen grober Verstöße. Jetzt haben sich X (vormals Twitter) und der Meta-Konzern mit Facebook und Instagram von jeglichem Fakten Checking verabschiedet – angeblich, weil dieses politisch motiviert sei.

https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/online-disinformation


Georg Rieger
Ausbürgerung

Hannah Arendt, Willy Brandt, Bertolt Brecht, Albert Einstein, Thomas Mann … sie wurden ausgebürgert, weil die Nationalsozialisten sie aus dem Volkskörper ausschließen wollten. Die Eltern des Grundgesetzes haben die Lehre gezogen und den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit auch bei Straffälligkeit oder anderen Gründen ausgeschlossen. Einzige Ausnahme ist, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Einbürgerung erschlichen wurde.
Es ist eine Forderung, die der Kanzlerkandidat Friedrich Merz aufstellt, die gar nicht umsetzbar ist und doch Folgen hat: Millionen Deutsche fühlen sich als Bürger*innen zweiter Klasse. Manche bangen um ihre Sicherheit, die eh schon durch die wachsende rassistische Gewalt bedroht ist.
Generalsekretär Carsten Linnenmann forderte neulich ein Verzeichnis der psychisch Kranken. Es bleibt zu hoffen, eine Partei, die sich christlich nennt und als bürgerlich versteht, nach dem Wahlkampf wieder zur Besinnung kommt.


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Das Charity-Paradoxon des Elon Musk

„Wie bekomme ich Elon Musk dazu, dass er meine Organisation hated?“ Das ist aktuell die Herausforderung für erfolgversprechendes Fundraising. Wikipedia hat es geschafft. In wenigen Stunden konnte die Wissens-Plattform das Spendenaufkommen vervielfachen. Elon Musk hatte dazu aufgerufen, wikipedia nicht mehr zu unterstützen, weil es zu woke sei.

Der Milliardär wird von einem regelrechten Hass gegen Wohltätigkeit getrieben. Seine Tiraden bekommt unter anderen regelmäßig MacKenzie Scott, die Ex-Frau von Jeff Bezos, ab. Sie spendet Milliarden an wohltätige Organisationen, die der Armut entgegenwirken. Jüngst nannte Musk sie deshalb eine Gefahr für die westliche Zivilisation. 

Doch auch Scott wird dadurch nur angestachelt, noch mehr zu tun. So wird Elon Musk zum vielleicht größten Wohltäter aller Zeiten – ohne einen Cent selbst zu spenden. Protest ist vielleicht nicht die beste Motivation Gutes zu tun. Aber auch nicht die schlechteste, wenn es darum geht, dem um sich greifenden Sozialdarwinismus etwas entgegenzusetzen.


Georg Rieger
Gerührt, nicht geschüttelt!

Der amerikanische Milliardär Elon Musk nimmt global Einfluss auf die Politik. Er sitzt auf dem Schoß des künftigen US-Präsidenten (manche behaupten auch, es sei umgekehrt), ihm gehören die Satelliten, die für die Verteidigung westlicher Länder wichtig sind. Er finanziert rechte und faschistische Parteien in Europa. Die dominierende Nachrichtenplattform gehört ihm nicht nur, sondern er nutzt sie persönlich zur Verbreitung von Hass und Hetze.

James-Bond-Filme wurden immer belächelt – insbesondere wegen ihrer konstruierten Bösewichte. Nun ist diese Seite des Plots eindrucksvoll Realität geworden. Doch auf den rettenden Agenten oder auch die rettende Agentin werden wir wohl vergeblich warten. Müssen wir also alle den James Bond in uns aktivieren? Gott bewahre! Aber es sollte uns in der Tat bald etwas einfallen, wie wir diesen Verrückten in die Schranken weisen.


Georg Rieger
Erste Gutmenschen

Die amerikanische Anthropologin Margaret Mead hat (schon vor mehreren Jahrzehnten) auf die Frage nach den ersten Anzeichen der Zivilisation auf Funde von verheilten Oberschenkelknochen verwiesen. Während Tiere mit solchen Verletzungen keine Überlebenschance hätten, sei dieser Mensch vor circa 5000 Jahre über längere Zeit versorgt und beschützt worden.

In Zeiten einer leidlich funktionierenden Gesundheitsversorgung könnten wir uns mit einem zufriedenen „Siehste!“ zurücklehnen. Gäbe es da nicht ernstzunehmende Anzeichen, dass auch solche zivilisatorischen Errungenschaften wieder in Frage gestellt werden. Und sei es nur durch das vermeintlich logische, aber konstruierte Argument, dass wir ja nicht allen helfen können. 

Die Mitmenschlichkeit als Schwäche oder Überforderung zu framen, ist eine Methode des Faschismus, der – wie wir in der Geschichte unseres Landes sehen können – Menschen zu Tieren macht.

Quelle: Der andere Advent 2024


Georg Rieger
Reiche gerecht besteuern!

„Den Reichen etwas wegzunehmen, bringt nichts. Das Ist höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein“, so wurde und wird immer erklärt, warum Umverteilung angeblich nichts bringt. Ein anderes Argument, das alle ausgleichenden Bemühungen im Keim erstickt: „Neid ist ein schlechtes Motiv.“

Die ETH Zürich und andere Institute haben recherchiert, wieviel Steuern Superreiche tatsächlich bezahlen: Es ist weit weniger als der Spitzensteuersatz, den „normal reiche“ Mittelständler durchaus begleichen. Nicht Neid, sondern Gerechtigkeit, treiben also zu einer konsequenten Besteuerung an. Und dass eine Vermögens- oder Reichensteuer nichts bringt, ist auch nicht richtig. Greenpeace hat berechnet, dass bei einer Sondersteuer für die 5.000 vermögendsten Personen 200 Milliarden herausspringen würden.

Einfacher ist es natürlich, das Bürgergeld zu kürzen und mit anderen sozialen Leistungen ein paar Milliarden einzusparen. Währenddessen steigen die Vermögen der Superreichen weiter. Und diese Vermögen geben ihnen die Möglichkeit, Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen und weiter die Narrative zu pflegen, die besagen, dass es nichts bringt ... (siehe oben!)

Quellen: WirtschaftsWoche, Lisa Ksienrzyk 19.04.2024. epd 6.12.24. @mondschaf23 6.12.24


Georg Rieger
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