Provokation

Herausforderung

Absurdes und Nachdenkenswertes aus den sozialen Medien kommentiert von Georg Rieger

Austauschbar

Julia Klöckner will keine Kirchensteuer mehr zahlen, wenn sich „die Kirche“ weiter für ein Tempolimit einsetzt. Markus Söder droht sogar mit dem Entzug jeder Unterstützung, wenn sich die Kirchen weiter gegen die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen aussprechen.
Noch härter als die finanzielle Drohgebärde trifft aber der Vorwurf Klöckners, die Kirchen würden sich „austauschbar“ machen wie NGOs. Nun ist es einerseits einfach richtig, dass die Kirchen Nicht-Regierungs-Organistationen sind. Aber es kommt noch besser: Sie sollten von ihrem evangelischen Auftrag her auch gar nicht den Anspruch haben „etwas Besseres“ zu sein.
Vielmehr sollte Frau Klöckner erklären, warum ihre Partei das „Christliche“ im Namen trägt, wenn das Christentum doch angeblich nicht politisch sein soll. Oder gilt das nur in eine Richtung?


Georg Rieger, Nürnberg
Trumpisierung

Vier propalästinensische Aktivisten sollen auf Geheiß des Berliner Senats des Landes verwiesen werden: ein US-Bürger und drei aus der Europäischen Union. Sie genießen laut EU-Recht Freizügigkeit. Sie sind von keinem Gericht verurteilt. Ob ihre Aktionen antisemitisch einzuordnen sind, ist immerhin umstritten. 
Wir sehen in den USA, wie dort inzwischen mit Menschen umgegangen wird, die antiisraelische Meinungen vertreten oder die anderweitig missliebig sind. Der Berliner Senat scheint sich hier ein Beispiel nehmen zu wollen und rechtsstaatliche Prinzipien in den Wind zu schießen.
Es sind eben diese fast unbemerkten kleinen Grenzüberschreitungen, die nach und nach Grundgesetz und Menschenrechte aushöhlen wollen. Vor solchen Aktionen schrecken inzwischen bürgerliche Parteien nicht mehr zurück. Hoffentlich machen Gerichte dem ein Ende.


Georg Rieger RefApp
Männer alleine

Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition beabsichtigt, den Familiennachzug für zwei Jahre auszusetzen. Die jungen Männer, die zum Beispiel davor geflohen sind, in einem Bürgerkrieg verheizt zu werden, aber natürlich Angst um ihre daheimgebliebenen Familien haben, bleiben nun alleine hier. Migrationsforscher*innen sind entsetzt, weil die Entscheidung keinen Sinn macht.
Der Zuzug von Familien wäre eine Form von geregelter Migration. Sie wird penibel vorbereitet und lässt Zeit zu Überprüfung. Es ist schon jetzt geregelt, dass der Mann einer geregelten Arbeit nachgehen und also seine Familie ernähren können muss. Kinder, die hier in Deutschland aufgezogen und gebildet werden, sind ein wichtiges Potential für unsere Gesellschaft. Frauen und Kinder sind praktisch kein Sicherheitsrisiko. Verzweifelte Männer, die keine Perspektive für ihre Familie sehen, allerdings schon.
Der Sicherheit dient das alles nicht, sondern es zahlt einzig und alleine zahlt auf die plumpe Forderung der AfD ein, die lautet: „Keine neuen Ausländer ins Land“.


Georg Rieger, Nürnberg
So oder so sind sie die Opfer

Juristisch wird das Urteil gegen Marine Le Pen von kaum jemand kritisiert. Sie hat systematisch EU-Gelder veruntreut, indem sie diese in ihre Parteiarbeit umgeleitet hat. Politisch sei es aber ungeschickt bis verheerend, heißt es nun. Denn es sei Wasser auf die Mühlen der Rechten. Sie fühlen sich durch solche Urteile in ihrer Opferrolle bestätigt. Mit genau dieser Begründung wird auch ein AfD-Verbot von vielen für kontraproduktiv erachtet. 
Aus zwei Gründen ist diese Argumentationsweise fatal: 
Ein gerichtliches Urteil, das auf politische Strategien Rücksicht nimmt, stellt die Gewaltenteilung in Frage – also genau eines der wichtigsten demokratischen Güter. Im Fall von Le Pen ist das Gesetz mit Zustimmung ihrer Partei zustande gekommen. Es nun nicht anzuwenden, würde jede Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit ad absurdum führen.
Sich als Opfer zu beschreiben, gehört zur Strategie der Faschisten. Nichts holt sie aus dieser Ecke, in die sie sich aus Berechnung selbst stellen. Diese Opferrolle legitimiert ihre Verachtung und Rücksichtslosigkeit. Selbst Donald Trump, der mächtigste Mann der Welt und Präsident der stärksten Wirtschaftsmacht, redet ständig davon, wie schlecht er und sein Land behandelt werden.  Der Versuch, sie durch Legitimierung aus dieser Ecke zu holen, ist zum Scheitern verurteilt.


Georg Rieger, Nürnberg
Evangelische vorne dran

Erstmals seit vielen Jahren sind wieder mehr Protestanten aus der Kirche ausgetreten als Katholiken. 345.000 sollen es 2024 gewesen sein – gegenüber 322.000 auf katholischer Seite. Abgesehen von dem neuen Ranking ist das keine neue Nachricht, sondern ein jährliches Ritual. Die Berichte werden immer hämischer, aber auch das ist bei der allgemeinen Tonlage im Moment nicht wirklich verwunderlich.
Den Verlust an Mitgliedern und Bedeutung können sich die Kirchen nicht schönreden. Viele Veränderungen und Einsparungen stehen an und es herrscht eine Stimmung wie auf einem langsam sinkenden Boot. Allerdings glaubt doch niemand im Ernst, dass dieses Schiff, das sich Gemeinde nennt, wirklich untergeht. Nicht einmal die ärgsten Verächter der Religion gehen davon aus.
Diese Gewissheit sollte einen entscheidenden Unterschied für die Einstellung zu dem Prozess ausmachen, den wir gerade erleben. Eine gewisse Gelassenheit und Dankbarkeit für das, was ist. Mit dieser Haltung lassen sich Veränderungsprozesse weniger erleiden und mehr gestalten.
Quelle: ZDF heute vom 26.4.25


Georg Rieger, Nürnberg
Hälfte der Macht

Nachdem Männer mit überspannten Egos gerade das Weltgeschehen dominieren wie in alten Zeiten, ist es doch eine schöne Meldung, dass es auch anders geht: Erst haben neulich zwei Frauen den Klimaschutz in die Regierungspolitik zurückverhandelt. Immer mehr Wissenschaftlerinnen verstehen es, in Talkshows und Interviews komplizierte Sachverhalte aus früheren Männerdomänen verständlich zu erläutern.
Und nun begehren die CDU-Frauen auf und fordern die paritätische Besetzung von Partei- und Regierungsämtern. Ganz besonders mutig, weil aus der zweiten Reihe: Mechthild Heil sagt, sie sei eigentlich eine Bau-Politikerin, werde von ihrer Partei aber in die Koalitions-Verhandlungsgruppe „Familie“ entsandt – offenbar nur, weil sie eine Frau sei. Das Angebot hat sie denn auch abgelehnt.  Spannend bleibt, wie viele Frauen es ins Kabinett schaffen.
Filmtipps: Die Unbeugsamen. Geschichte der Frauen in der Bonner Republik (leider nicht mehr in der Mediathek, aber bei fast allen Streaming-Diensten). Die Unbeugsamen 2. Guten Morgen, ihr Schönen (Frauen in der DDR-Politik) in der ARTE-Mediathek


Georg Rieger RefApp
Geht so Versöhnung?

Vor fünf Jahren verbreitete sich nicht nur der Corona-Virus, sondern es wurde beinahe vom ersten Tag an auch von zweifelhaften Experten bestritten, dass das Virus gefährlich sei. Andere stellten das Funktionieren der Wirtschaft über den Schutz vulnerabler Gruppen. Bei manchen Menschen offenbarte sich eine seltsame Empathielosigkeit oder gar die entschiedene Haltung, dass eine Auslese von der Natur vorgesehen sei.
Nun wird viel von Aufarbeitung und Versöhnung gesprochen. Gefordert wird eine nachträgliche Bewertung der Einschränkungen. Dass diese aus der damaligen Unkenntnis heraus in vielen Fällen übertrieben oder sogar nutzlos waren, wissen wir aber längst. Auch, dass andere Maßnahmen durchaus sinnvoll waren und viele Leben gerettet haben. Aber wer von denen, die damals keine Rücksicht nehmen wollten, hat denn diesbezüglich Einsehen gezeigt?
Der Filmemacher Mario Sixtus schreibt: „Ich will keine Versöhnung mit diesen Menschen. Ich bin froh, dass sie sich zu erkennen gegeben haben.“ Das klingt im ersten Moment etwas herzlos und arg pauschal. Aber es ist auch etwas Wahres daran: So geht Versöhnung nicht, dass eine gegensätzliche Haltung einfach zugedeckt wird.

Quelle: @sixtus@mastodon.social (Aktueller Film: China vs. Hollywood, ARTE-Mediathek)
Georg Rieger, Nürnberg
... dass sich die Balken biegen.

Der Umgang mit Lügen in den Medien wird nach dem zurückliegenden Wahlkampf erneut zum Thema. Wahrscheinlich wieder ohne Folgen.
Christoph Stöcker, Medien-Professor und Kolumnist beim SPIEGEL, hat einen Vorstoß unternommen und die Talk-Formate im Fernsehen aufgefordert, etnweder Live-Faktenchecks einzuführen, oder die Sendungen aufzuzeichnen und nachträglich mit Richtigstellungen zu versehen. Warum das nicht passieren wird?
Es würde enormen Mut erfordern, den Zensur- und Parteilichkeitsvorwürfen zu begegnen. Denn die Lüge vor der Lüge ist die, dass es gar keine Wahrheiten mehr gibt, sondern nur noch Meinungen. Und dass es Meinungsfreiheit ist, wenn alles gesagt werden darf – egal wie blöd oder verletzend.
Hinter diesen neu gesetzten Standard zurückzukommen, würde eine Einigkeit in dem Teil der Gesellschaft erfordern, der sich eine realitätsbasierte Diskurslage zurückwünscht. Da stehen die Chancen momentan aber schlecht. 

Quelle: bluesky @christianstoecker.de (9.3.25)
Georg Rieger, Nürnberg
Unvorbereitet

Immer wieder wird in verschiedene Richtungen der Vorwurf laut, man sei offensichtlich nicht vorbereitet: Selenskyi nicht auf das Trump-Vance-Duo, Europa nicht auf den Zerfall der Nato, die deutsche Außenpolitik nicht auf eine Führungsrolle, die Bundeswehr nicht auf die neue Bedrohungslage. 
Weil über den Pazifismus eh nur noch verächtlich gesprochen wird, findet leider auch keine (selbst)kritische Auseinandersetzung über diese Haltung statt. Die müsste aber zu dem Ergebnis kommen: Auch für einen gewaltlosen Widerstand gegen machtbesessene Aggressoren gibt es bisher keine Konzepte. 
Wäre der Moment nicht günstig, eine ernsthafte Alternative in die Diskussion zu bringen? Jenseits ideologischer Grabenkämpfe? Eine geopolitische Strategie, die angesichts der sich abzeichnenden Herausforderungen und der Unberechenbarkeit der Akteure wesentlich realistischer und schneller fertig sein könnte?


Georg Rieger, Nürnberg
Schluss mit der Verharmlosung!

„Es ist problematisch, dass wir 'Faschismus' oder 'Nationalsozialismus' so untrennbar mit Krieg und Holocaust in Verbindung bringen. Dann kann man heutige Faschisten für vergleichsweise harmlos erklären." So stellt der österreichische Wissenschaftler und Kolumnist Florian Aigner richtig fest.
Auch wenn es in der Frage der Definition des Begriffs keine einheitliche Antwort gibt, ist eine konsensfähige doch die des US-amerikanische Geschichtsprofessor Robert O. Paxton. Sie ist von 2004 und daher unverdächtig, die momentane Situation im Blick zu haben. Danach ist Faschismus zunächst daran zu erkennen, dass er für die eigene Gemeinschaft (Volk) geradezu obsessiv den Niedergang, die Demütigung und die Opferrolle beschreibt. Zur Befreiung aus dieser Not werden Einheit, Stärke und (völkische) Reinheit beschworen. Wo Faschisten zum Zuge kommen, arbeiten sie gerne mit wirtschaftlichen Eliten zusammen, betreiben die Aufgabe von demokratischen Rechten, ethischen oder gesetzlichen Beschränkungen. Alles mit dem Ziel einer inneren Säuberung und einer äußeren Expansion.
Trotz ihres nationalistischen Gehabes haben sich Faschisten auch schon immer gerne international verbündet. Der Entstehung eines solchen Bündnisses (USA-Russland) sehen wir gerade zu. Und diesem werden sich vermutlich bald auch einige europäische Staaten anschließen, wenn sie sich von dort Vorteile für ihre Pläne erhoffen. Und in unserem Land gibt es inzwischen auch über die AfD hinaus einige Tendenzen in diese Richtung. Wir sollten die Dinge jetzt wenigstens beim Namen nennen!

Quellen: bluesky @florianaigner.at (22.2.25); wikipedia Faschismustheorie/Definitionen
Georg Rieger, Nürnberg
1 - 10 (393) > >>