Provokation

Herausforderung

Absurdes und Nachdenkenswertes aus den sozialen Medien kommentiert von Georg Rieger

Generierte Gefühle

Mutmaßlich sind es in farbige Stoff gewickelte Leichen, die zu zehntausenden auf sandigem Wüstenboden feinsäuberlich aufgereiht liegen. Im Hintergrund schneebedeckte Berge. Sonnenuntergangsstimmung. In der Mitte des Bildes formen größere weiße Leichensäcke den Satz: „ALL EYES ON RAFAH“. 

Dieses Online-Plakat wurde wohl als Reaktion auf den versehentlichen Raketenangriff Israels auf ein Flüchtlingszeltlager und als Hinweis auf die verheerende Situation in Gaza allgemein verstanden und millionenfach geteilt. Stundenlang erschien es in jeder zweiten Instagram-Story und allen anderen Kanälen.

Die Bildsprache hätte schon stutzig machen können. Das Foto ist ganz offensichtlich KI-generiert. Die Bestandteile sind völlig absurd zusammengebastelt, nur um ein gleichsam krasses wie schönes Bild abzugeben, das Gefühle auslöst. Der kreative Urheber des Plakats ist ein malaysischer Hamas-Anhänger. 


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Die Strohfrau-Taktik

Der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer hat den Feminismus für tot erklärt. Und er hat erstaunlich stichhaltige Gründe dafür, dass eines seiner Lebensziele nun erreicht scheint. 

Es gibt da nämlich an amerikanischen Elite-Universitäten Studierende, die gegen die israelischen Militäraktionen in Gaza demonstrieren. Unter ihnen sind auch einige hundert junge Frauen, die ihre Solidarität für die leidende Bevölkerung dort zum Ausdruck bringen und meinen, auch den palästinensischen Befreiungskampf unterstützen zu müssen. Laut Fleischhauer „beten“ sie damit „muslimische Vergewaltiger an“. Und damit haben sie jetzt leider das Selbstbestimmungsrecht der Frauen weltweit und für alle Zeit verwirkt.

Wer sich diese intellektuelle Glanzleistung antun und noch mehr Strohmann-Argumente nachlesen will: https://www.focus.de/politik/meinung/focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-der-feminismus-ist-tot_id_259953499.html


Georg Rieger, Nürnberg
Die wollen gar nicht, dass es allen gut geht.

Der Vorwurf, ein „Gutmensch“ zu sein, ist verstörend und hinterlässt einen ratlos. Gibt es eine Alternative dazu, gut sein zu wollen? Die auf Instagram sehr präsente Europa-Spitzenkandidatin der SPD Katharina Barley hat es auf den Punkt gebracht: „Es gibt Menschen, die wollen gar nicht, dass es allen gut geht. Das fiel mir wie Schuppen von den Augen. Die wollen das einfach nicht! Ich hatte das irgendwie nicht auf dem Schirm. Ich habe gedacht, eigentlich wollen das alle und haben nur verschiedene Wege dahin. Ne! Es gibt Menschen, die sagen: Damit es einigen sehr gut gehen kann, muss es eben anderen auch schlecht gehen.“

Diesen Eindruck gewinnt man aus manchen politischen Entscheidungen, aber auch in vielen Diskussionen. So ausdrücklich sagt das natürlich selten jemand. Doch die Beschimpfung und Bedrohung von Menschen, die sich um andere kümmern, zeigt wie verbreitet diese von Barley beschriebene Einstellung ist.

katharina.barley/Instragram 16.5.24


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Heimchen am Herd

Auf TikTok boomt ja allerhand reaktionärer Mist. Einer davon ist das Lebenskonzept der „Tradwife“. Eine solche „Traditionsfrau“ ist eine, die bewusst zuhause bleibt, auf Erwerbsarbeit verzichtet, ihrem Mann den Rücken freihält und seine Karriere unterstützt. Es geht so weit, dass auch der Kleidungsstil der 50er Jahre gehypt wird. Und noch schlimmer: Auch Gewalt in der Ehe wird als hinzunehmende Möglichkeit bezeichnet.

Natürlich ist es nicht verwerflich, wenn Frauen oder Männer familiäre Care-Arbeit zum Lebensinhalt machen. Aber darum geht es überhaupt nicht. Die Verherrlichung der klassischen Frauen- und Mutterrolle ist dazu gedacht, ausschließlich Frauen nicht nur an den Herd zu bannen, sondern auch aus der Öffentlichkeit zu eliminieren.

Solche Vorstellungen von der vermeintlich hierarchisch-geordneten Familienwelt treffen einen Nerv bei verunsicherten Jugendlichen. Sie sind Wasser auf die Mühlen derer, die Gleichberechtigung und Diversität ablehnen. Und um es ganz groß einzuordnen: Diese Rollenzuweisung der Frau ist Teil eines im Grunde faschistischen Menschenbildes, das weltweit im Kommen ist und von den Autokraten dieser Tage geteilt wird.

Eine ganze Reihe von Provokationen (im guten Sinn) bietet die monatliche Kolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert (https://eulemagazin.de/kolumnen/). Ihr Thema sind Kinder, Jugendliche, deren Familien und ihr Platz in der Kirche. Entstanden ist die Kolumne in der Corona-Zeit. Die Autorin ist Erziehungswissenschaftlerin, Eltern- und Familienberaterin. In der März-Ausgabe beschäftigte sich Albert mit dem Phänomen der „Tradwives“


Georg Rieger, Nürnberg
Anstand und Höflichkeit

Gegen Gender-Verbote in Sachsen und Bayern argumentiert der katholische Moraltheologe Gerhard Marschütz in einem Interview mit der tageszeitung (taz):

„Man kann nicht nicht gendern, würde ich in Anlehnung an Paul Watzlawick sagen. Man hat immer ein bestimmtes Verständnis von Geschlecht, das man in die Sprache einbringt. (...) Wenn eine dritte Geschlechtsoption verbindlich zugesagt ist, dann ist die Frage, wie sich das sprachlich zeigt. Und nichts anderes wird versucht mit einem Doppelpunkt oder Unterstrich. Es ist der Versuch, über Sprache Anstand und Höflichkeit auch jenen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, die sich in einer geschlechtlich-binär strukturierten Sprache nicht wiederfinden.“

Das ganze Interview unter: https://taz.de/Moraltheologe-ueber-Gender-Verbot/!5996645/


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Osterlachen

Ostern bringt in den sozialen Medien viel Humoriges zu Tage, aber auch Hohn und Spott. joni beklagt auf bluesky die fehlenden Zwischenschritte zwischen Kreuzigung und farbigen Ostereiern und bekommt viele lustige Lösungsvorschläge (tatsächlich auch schlaumeierische Erklärungen). Wenig Verständnis gibt es in social media für das Tanzverbot aber auch einen witzigen Kompromissvorschlag: Tanzen ja, aber dabei traurig schauen (Postillon).

Johann van de Bron fragt sich, wie "man einem Außerirdischen das Christentum erklären würde, ohne dabei zu lachen". Aber warum denn nicht lachen? Manche unserer religiösen Gewohnheiten sind doch objektiv betrachtet wirklich komisch. Die Rabbi-Witze im Judentum sind ein gutes Vorbild dafür, dass sich Religionen auch über ihre eigenen Inhalte und Gewohnheiten lustig machen können ohne sich damit einen Zacken aus der Krone zu brechen.

An Ostern im Gottesdienst einen Witz zu erzählen, war in manchen Regionen jahrhundertelang selbstverständlich. Dieser Brauch hat gerade wieder Konjunktur. Wenn, dann bitte eben von dieser Qualität: Nicht über Andere lustig machen, sondern über sich selbst! 


Georg Rieger, Nürnberg
Trikot-Tausch

Gleich zweimal Aufregung um die Bekleidung der Fußball Nationalmannschaft: Erst das rosa-blaue Auswärtstrikot der Herren bei der Europameisterschaft und dann der Ausrüster-Wechsel von Adidas zu Nike. 

Die einen wittern ein politisches Statement zugunsten der Transsexualität und sehen sich darin bestätigt, dass die wokeness in alle Bereich unseres Lebens vordringt. Die anderen sehen einen „unpatriotischen Akt“ darin, dass ein ausländisches Unternehmen begünstigt wird. Freier Markt hin oder her – irgendwo muss Schluss sein!

Der Deutsche Fußball-Bund freut sich derweil darüber, dass die Kassen klingeln. So haben doch alle was davon. Außer dem, um den es eigentlich geht: der Sport.


Georg Rieger, Nürnberg
Moderne Ritter

Der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, Mario Voigt, will sich „nicht an der AfD vorbeimogeln“ und fordert daher seinen Kontrahenten Björn Höcke zum TV-Duell heraus. „Wer Höcke schlagen will, muss mit ihm reden“ titelt der Spiegel über eine Kolumne. 

Da verfängt offensichtlich das alte Motiv des einsamen Ritters: Er stellt sich dem für alle gefährlichen Drachen stellt und will ihm den Garaus machen. Wie im Märchen gibt es natürlich auch Warnungen: Lass es! Du hast keine Chance. Wenn du ihm ein Argument abschlägst, kommen drei neue. Doch der tapfere Held wittert die Chance, sich unsterblich zu machen, wenn er das Untier besiegt.

Warum es nicht gelingen wird? Das wissen wir selber aus unzähligen Diskussionen mit Menschen, die Fakten nicht anerkennen, sondern einfach immer wieder behaupten, was längst widerlegt ist. Solche Schaukämpfe können nicht gelingen. Aber es braucht wohl noch einige Ritter (und gelegentlich auch Ritterinnen), die es probieren müssen. Leider machen sie den Drachen dadurch immer selbstbewusster.


Georg Rieger, Nürnberg
Legalisierung

„Wir wissen auch, dass Menschen regelmäßig jemanden umbringen. Deswegen legalisieren wir Morde trotzdem nicht.“ Mit diesem Argument kämpft die CSU-Politikerin Dorothee Bär gegen die Freigabe von Cannabis. Nicht nur der Konsum, sondern auch der Eigenanbau der Pflanzen sollen – in einem begrenzten Maß – erlaubt werden.

Bedenken gibt es viele und manche auch begründete. Aber eben auch solche schiefen Vergleiche und falsche Informationen, zum Beispiel darüber, was die Legalisierung in anderen Ländern angeblich angerichtet habe. Und immer wieder kommt das wissenschaftlich widerlegte Argument, das Kiffen sei der Auftakt zu einer Drogenkarriere.

Die Legalisierung hat nicht die Absicht, den Konsum zu erleichtern. Die Beschaffung ist eh kein wirkliches Problem. Ein großes Problem ist aber die Qualität dessen, was auf bisher illegalem Weg zu bekommen ist. Da wird gestreckt und vermengt – auch billige synthetische Drogen oder andere pflanzliche Halluzinogene werden beigemischt. Aus der Illegalität erwachsen die wirklichen gesundheitlichen Risiken. Die Straffreiheit eröffnet ganz andere Möglichkeiten der Kontrolle, der Aufklärung und der Prävention.


Georg Rieger, NÜrnberg
Arbeitspflicht vs. Arbeitsverbot

Eine weitere Idee, Asylsuchende zu schikanieren, hatte der Landrat des Saale-Orla-Kreises Christian Herrgott. Er will Bewohner*innen von Gemeinschaftsunterkünften zu gemeinnützigen Arbeiten verpflichten. Das wird so voraussichtlich nicht kommen, weil Zwangsarbeit in Deutschland verboten ist . Art. 12 Absatz 2 Grundgesetz: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“

Die vorgeschlagenen Betätigungen sind keine, die nicht von regulär Arbeitenden verrichtet werden könnten. Deshalb wäre außerdem der Mindestlohn fällig.

Gleichzeitig wird Asylsuchenden in Deutschland in ihrem Verfahren lange Zeit keine Arbeitserlaubnis erteilt und werden Sprachkurse verweigert, um eine frühzeitige Integration zu verhindern. Das Bild des arbeitsscheuen Geflüchteten wird also produziert, um es dann gegen diese Menschen zu benutzen und sie zur Arbeit zu zwingen.


Georg Rieger
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