WARUM?

Sechs Einsichten aus der Bibel von Rolf Wischnath


Nach der Katastrophe in Syrien: Mitarbeitende von GOPA-DERD machen sich ein Bild der Lage © GOPA-DERD/Diakonie Katastrophenhilfe

Die Erdbebenbilder aus der Türkei und Syrien, Nachrichten aus dem Krieg in der Ukraine schreien einen geradezu an: WARUM? Die Theodizee-Frage stellt sich hier noch einmal neu.

1
WARUM? Das ist die Grundfrage unbeschreiblicher Klage: „Tränen sind mein einziges Brot am Tag und in der Nacht. Die ganze Zeit sagen sie zu mir: Wo ist nun dein Gott?“ (Psalm 42, 4). Immer wieder stehen in der Bibel das Lob der unermesslichen Güte Gottes und die abgrundtiefe Klage nebeneinander: „Wenn dunkle Gedanken in meinem Herzen mächtig wurden, hat dein Trost mich wieder froh gemacht“ (Ps. 94). Der Lobpreis Gottes und der Schrei der Leidenden gehören zusammen.

2
WARUM ist im Leiden das Vertrauen auf Gott so oft dahin? ER hat mir doch das Leben gegeben – und zusätzlich die Verheißungen seiner Treue (Ps. 88 + 89). WARUM? So wird auch in der Bibel nach Gott gerufen. Aber in einem solchen Ruf ist immer noch die Hoffnung lebendig, Gott könne das Zerstörte und das Verlorene wieder herstellen. „Ich werde die Güte des HERRN erfahren, solange ich noch im Land der Lebenden bin. Ich hoffe auf den HERRN … Schick mich nicht weg und lass mich nicht im Stich, du Gott meiner Rettung“ (Ps 27).

3
WARUM ist der Hilfeschrei immer wieder an Gott gerichtet? ER ist kein religiöses Konstrukt, sondern ein DU - unserem Erkennen und Verstehen weit voraus (Ps 139). Die Erkundigung, ob er angesichts der Übel in der Welt noch fähig und gerecht sei, bleibt in jenen unendlich vielen Antwortversuchen der Theologen angreifbar, unvollkommen, ja verhängnisvoll . Wir fassen es nicht. Und wie das Manna in der Wüste, reicht einem das Ertastete nur für einen Tag. Am nächsten Morgen muss es erneut gefunden werden. Immer anfänglich.

4
WARUM sehe ich oft so wenig von Gottes Nähe? Trotzdem: Unsere vorläufigen Einsichten bleiben nicht im Nebel. Ich kann, ich werde es erfahren: Die Zusagen, dass ER der HERR unser Gott ist (2. Mose 20) und dass ER immer bei uns ist, jeden Tag, bis zum Ende der Welt (Matthäus 28), bleiben trotz aller Anfechtungen in unserem Leben nicht ohne Einsicht und Erfahrung. Eben trotzdem: „DU bist bei mir, deine rechte Hand hält mich, auch im Todesschatten fürchte ich kein Unglück“ (Ps 23).

5
WARUM stellen wir diese Frage? Und welche Antwort erwarten wir denn? Hoffentlich keine, die die Leiden als Gottes Reaktion auf unsere bekannten oder unerkannten Sünden – also als seine pädagogischen Maßnahmen - erklären. Wir sollten überhaupt keine erklärende und beweisende Antwort anstreben. Vielmehr dürfen wir erwarten, dass zu seiner Zeit Großes geschieht: die Heimholung der Gestorbenen, Auferstehung und mit ihr Schalom: Liebe und Rettung, Gerechtigkeit und Friede.

Die Erfüllung dieser Verheißungen sind der Zukunft Gottes vorbehalten. Aber die Hoffnung auf die letzte Auferstehung bestimmt schon jetzt unser Leben. Die Katastrophen können wir nicht erklären. Aber wir schreien sie in Gottes Ohr, wie Jesus sie am Kreuz geschrien hat: „Warum hast DU mich verlassen?“ (Matthäus 27, 34) Und den von Menschen zu verantwortenden Katastrophen treten wir entgegen wie der Barmherzige Samariter es tat (Lukas 10). Die Hinwendung zu den Leidenden ist Bedingung der Möglichkeit, zu hoffen und es auszuhalten. Und die Bibel ist von der ersten bis zur letzten Seite angefüllt mit Verheißungen für diese Zeit und unser Leben jetzt. Diesen Verheißungen entledigt Gott sich nicht. Seine Zusagen für Hier und Dort sind so folgenschwer, dass wir sagen: ER muss retten!

6
WARUM leidet das Urbild alles Leidens, der gekreuzigte Jesus Christus? Wir glauben: In ihm ist der HERR gegenwärtig – für uns. In ihm identifiziert sich Gott der HERR mit den Opfern, mit uns Sterbenden. Im Angesicht des Kreuzes spricht Paulus aus, was wohl als das stärkste Wort aller Worte in der Bibel verstanden werden darf:

„Ich bin davon zutiefst überzeugt: Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen – nicht der Tod und nicht das Leben, keine Engel und keine weltlichen Mächte, nichts Gegenwärtiges und nichts Zukünftiges und auch keine andere gottfeindliche Kraft. Nichts Über- oder Unterirdisches und auch nicht irgendetwas Anderes, das Gott geschaffen hat – nichts von alledem kann uns von der Liebe Gottes trennen. In Christus Jesus, unserem HERRN, hat Gott uns diese Liebe geschenkt“ (Röm 8, 38 + 39).

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Rolf Wischnath