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Calvin und wir - Rede zur Eröffnung des Festaktes 500 Jahre Calvin
von Peter Bukowski
Calvin und wir - drei Fragen zu Beginn
Sehr geehrter Herr Außenminister, sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, verehrte Festversammlung!
Mit Festakten der Erinnerung an berühmte Menschen ist das so eine Sache. Wird man dem Jubilar gerecht? Im Blick auf das Calvinjahr ist uns diese Frage des Öfteren gestellt worden: „Meint Ihr wohl, der würde sich über das Spektakel freuen?“ Aus der Luft gegriffen ist der Einwand nicht. Einem, der darauf drang, anonym bestattet zu werden, um jedem posthumen Personenkult einen Riegel vorzuschieben, wäre wohl manches, was mit Calvin ´09 einhergeht – sagen wir es vorsichtig: - nicht geheuer. Andererseits: Johannes Calvin hat sich mit der Sache des Evangeliums und mit seinem Auftrag, an einer evangeliumsgemäßen Erneuerung der Kirche mitzuwirken, in einer nicht zu überbietenden Weise identifiziert. So finden sich in seinem Siegel die Initialen J und C: Das kann in gleicher Weise für Johannes Calvin und für Jesus Christus stehen. Und so könnte seine Reaktion auf das Calvinjahr und speziell den heutigen Tag auch die sein: Wenn´s die Menschen tiefer in die Sache führt, der ich mein ganzes Leben verschrieben habe, so soll´s mir recht sein.
Wenn man sich mit Calvins Leben und Werk beschäftigt – das haben viele unter uns in diesem Jahr neu erlebt – eröffnet sich einem ein weiter Horizont und zugleich wird der Blick geschärft für die je eigene Situation. So frisch und unverbraucht ist vieles, was Johannes Calvin bewegt hat, dass es uns Heutige anspricht und uns bestätigend wie kritisch anzustoßen vermag. Lassen Sie mich exemplarisch drei Fragen nennen, die Calvin uns heute stellen könnte, die sein Werk uns stellt.
1. Seid Ihr in Eurem christlichen Glauben auskunftsfähig?
Ich finde es ebenso faszinierend wie nachdenkenswert, dass Calvin von Beginn seines kirchlichen Wirkens an um gute Theologie bemüht war. Ein Leben lang war er mit der Weiterarbeit an der 1536 zu ersten Mal erschienenen „Institutio“ befasst. Die theologische Arbeit hat ihn nicht losgelassen, sie war nie „fertig“. Und, was das Entscheidende ist, sie geschah – wie seine Arbeit am Katechismus und an der Auslegung der Bibel - im Blick auf die ihm anbefohlenen Christenmenschen, im Blick auf die Gemeinde. Denn, so sagt er selbst: „Es ist zweckmäßig und vernünftig, dass alle wissen und verstehen, was im Gotteshaus gesagt und getan wird; nur so können sie daraus Frucht und Erbauung gewinnen.“
Und deshalb noch einmal seine Frage an uns: Steht Euch klar genug vor Augen, dass Christenmenschen wissen müssen, woran sie glauben? Auch wenn die Lage nicht überall so finster ist, wie in der Geschichte jenes Religionslehrers, dessen Schüler auf die Frage, was Golgatha bedeute, antwortet: "Golgatha, das ist doch, wo Jesus zu Ostern die 95 Thesen ans Kreuz genagelt hat.“ Auch jenseits solcher Traditionsabbruchsskurrilität tut die verstärkte Arbeit an der Auskunftsfähigkeit unserer Gemeinden und der einzelnen Christenmenschen Not. Gut, dass die Zeiten vorbei sind, in der die Frage nach missionarischem Aufbruch das Spezialinteresse eines bestimmten „Flügels“ zu sein schien. So gesehen würde sich Calvin gewiss freuen und uns darin bestärken, dass wir uns im Zuge des Reformprozesses als gesamte EKD entschieden für eine Stärkung eben jener christlichen „Kernkompetenzen“ der Predigt, des Gottesdienstes und des theologisch verantworteten Gemeindeaufbaus einsetzen. Und er würde vielleicht hinzufügen: Gute Theologie hat im Hören auf die Heilige Schrift der Gemeinde und der Kirche zuzuarbeiten. Und: Gute Gemeindetheologie lebt von und zielt auf: Frömmigkeit. Wer denkt, er könne Calvin auf den unterkühlten „Theo-Logiker“ reduzieren, eine Ausgeburt des heute so genannten „Kopfmenschen“ also, der meditiere einmal sein schon erwähntes Siegel: Es zeigt eine Hand, die Gott das Herz darreicht. Gute Theologie rührt an, sie ist Herzenssache – oder es stimmt etwas nicht.
2. Wie steht es um Euer Bemühen um die Einheit der Christenheit?
Selbst erlebt hat Johannes Calvin die Zersplitterung der Kirche. Die meiste Zeit seines Lebens war er ein „Fremder“, vertrieben aus seinem Heimatland um seines Glaubens willens. Angefeindet als „ille Gallus“, jener Franzose, der als Ausländer in Genf wirkte und der all die anderen Glaubensflüchtlinge in die Stadt zog. Aber seine Erfahrung einer in sich zerrissenen Kirche lässt ihn nur umso fester darin Halt suchen, dass der Kirche ihre Einheit in ihrem Herrn Jesus Christus doch immer schon vorgegeben ist, weil er und nur er es ist, der sie „versammelt, schützt und erhält.“ An den Bischof von Canterbury schreibt er: „Zerfetzt, mit zerstreuten Gliedmaßen liegt der Leib der Kirche am Boden. Was mich betrifft, so würde ich gern zehn Meere durchkreuzen, um diesem Elend abzuhelfen.“ Und so bemüht sich Johannes Calvin wie kein zweiter Reformator um die Einheit der Kirche Jesu Christi. In 2009 jährt sich auch zum 460-mal der Consensus Tigurinus, jene wesentlich von Calvin betriebene Einigung in der Abendmahlsfrage, die mithalf, wenigstens den innerreformierten Streit beizulegen.
So gesehen wäre Johannes Calvin heute gewiss gerne unter uns. Dass mit Präsident Pfarrer Thomas Wipf einer für alle schweizerischen Städte und Kantone sprechen kann, wäre ihm eine wunderbare Bestätigung seiner Bemühungen. Und dass Pfarrer Wipf zugleich Präsident der GEKE ist, dass also inzwischen alle Evangelischen Europas in den entscheidenden Theologischen Fragen zusammen gehen und eine Gemeinschaft bilden, das käme ihm einem Wunder gleich; ebenso wie auf nationaler Ebene die Tatsache (und dafür steht Bischof Huber), dass wir sein Jubiläum als Reformierte und Unierte und Lutheraner gemeinsam feiern, weil wir in versöhnter Verschiedenheit eine Evangelische Kirche in Deutschland bilden.
Aber gerade weil er innerprotestantisch viel Grund zur Freude hat, könnte Calvin uns zuraten: weiter so! Weil ihr um das Geheimnis Eurer Einheit wisst, dürft ihr in eurem Bemühen nicht nachlassen. Echte Leidenschaft ist nicht wetterabhängig: Sie freut sich am Frühling, aber sie lässt sich von kühleren, gar von eisigen Zeiten nicht schrecken. Weil ihr Euch von dem einen Herrn der Kirche getragen wisst, werdet Ihr bei allen ökumenischen Partnern nach dem Verbindenden suchen, nach den Elementen von Wahrheit die gerade der Andere aufbewahrt hat. Ihr werdet im Bemühen um Einheit keine Verlustängste haben, euch aber auch nicht verrenken. Ihr werdet das Fremde achten und euch des Eigenen nicht schämen.
3. Zur dritten und letzten Frage reicht es im Grunde, noch einen Augenblick lang Calvin O-Ton einzuspielen. Kommentar zu Psalm 15,5: „Es ist doch eigentlich eine große Schande, dass, während die anderen – ein jeder in seiner Weise – durch mühevolle Arbeit ihr Brot verdienen, ... nur die Bankhalter allein in behaglicher Ruhe den Verdienst aus der Arbeit der anderen einstreichen. Zudem wissen wir, dass nicht die Reichen durch die Wucherer ausgesogen werden, sondern die kleinen Leute.“ Und in einem Gutachten zum Thema Zinsnehmen: „Nun haben wir aber die Gewohnheit, zuerst darauf zu achten, wo das Geld sich mit Gewissheit festsetzen kann. Aber viel eher ist es nötig, den Armen zu helfen, bei denen das Geld in Gefahr ist. So sind die Worte Christi gültig, sozusagen, als wenn er befehlen würde, eher die Armen zu unterstützen als die Reichen.“
Wie setzt Ihr Euch für Gerechtigkeit ein? Wenn Calvin so fragt, dann meint er zumindest dies: Habt Ihr verstanden, dass das Bemühen um gerechte Strukturen zum geistlichen Kernbestand der Kirche gehört? Hier trifft sich die dritte mit der ersten Frage, denn in der theologischen Analyse Calvins ist das Gerechtigkeitsdefizit Folge einer geistlichen Notlage: Es ist das mangelnde Gottvertrauen, welches die Menschen in die Gier treibt. Weil sie im Letzten haltlos sind, suchen sie im Materiellen nach Sicherheit und können sie doch nicht finden. So sind sie ständig nach Geld und Gut greifend und bleiben notorisch hungrig. Calvin vergleicht dies mit der verzweifelten Existenz eines Süchtigen. Und weiter: Ist Euch bewusst, dass Ihr die Bibel und die Gesellschaft aus der Perspektive der Opfer, also der Armen „lesen“ müsst – ihre Existenz gemahnt Euch zur Umkehr auf den Weg einer gerechten Teilhabe. Schließlich, wenn man sich vor Augen hält, was Calvin sich seinen Einsatz für die Glaubensflüchtlinge persönlich hat kosten lassen: Ist Euch bewusst, dass Ihr nur glaubwürdig seid, wenn in den eigenen Reihen und bei jedem Einzelnen Reden und Tun nicht auseinanderklaffen, sich vielmehr gegenseitig verstärken?
Calvin und wir. Er kommt uns tatsächlich nah mit seinen Fragen. Und dass er in die Begegnung viel einzubringen hat, an Inspiration, an Ermutigung, an Orientierung, das wird diese Veranstaltung und das werden diese Festtage einmal mehr zeigen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Pfr. D. Peter Bukowski, Moderator des Reformierten Bundes, Direktor des Seminars für pastorale Aus- und Fortbildung Wuppertal