Provokation

Herausforderung

Absurdes und Nachdenkenswertes aus den sozialen Medien kommentiert von Georg Rieger

Machtbeweise

»Kriege und Revolutionen, Wahlen und Abstimmungen, Strafen und Machtbeweise jeder Art der einen Menschen über die anderen sind unvermeidlich, aber nur als göttliche Gerichte. Quellen der Erlösung sind solche Ereignisse nicht. Sie vermehren das Leiden der Menschheit, sie führen tiefer und tiefer in den Urwald der Not hinein« (Karl Barth, Predigt zu Mt 26,47-56, in: Predigten 1919 (GA I.39), 111f) 

Twitter-Krieger

»Das Gewöhnliche hat den Krieg verursacht: keine Schurken, keine Mörder, keine Verbrecher und Untäter. Lauter tüchtige, arbeitsame, christliche Völker sind es, die sich jetzt bis aufs Messer bekämpfen, (...) und sie tun es alle im vollen Bewusstsein ihrer Gerechtigkeit. Und sehr feine, gebildete, wohlmeinende Herren sind auch die Regierenden alle, die vor einem Jahr einander den Krieg erklärt haben, mindestens so fein und wohlmeinend als du und ich, wenn wir Fürsten und Minister wären; und auch sie sagen: unsere Sache ist gerecht, und glauben in allem Ernst daran, und sie ist auch wirklich gerecht, so gerecht, als eben das Gewöhnliche in den Menschen: die Selbstsucht und der Hochmut und die Rücksichtslosigkeit nur immer sein können, nur dass leider diesmal aus lauter Gerechtigkeit der entsetzlichste Krieg entstand. Der Krieg ist nichts Außerordentliches, 99 % der Menschen haben einfach nicht das Recht dazu, den Krieg einen Wahnsinn und ein Verbrechen zu heißen. Der Krieg ist nur die Folge des Gewöhnlichen, die Folge der Gerechtigkeit der 99. Sieh, sagt uns der Krieg: so wirkt das Gewöhnliche! Und nun hast du also etwas gemerkt, ob durch den Krieg oder sonst: hast gemerkt: das Gewöhnliche ist die Sünde« (Karl Barth, Predigt zu Lk 15,3-7, in: Predigten 1915 (GA I.27), 393f)

Protuberanzen

»Das ist's nämlich, was allen jenen [untergründigen] Gewalten (...) gemeinsam ist: sie, diese merkwürdigen Protuberanzen des dem Menschen als Gottes Geschöpf verliehenen Vermögens wirken nicht für, sondern gegen den Menschen. Sie bringen ihm (...) allesamt keine Lebenshilfe: nicht die Befreiungen, Stärkungen, Erleichterungen, Vereinfachungen und Bereicherungen, die er sich von ihnen verspricht. (…) Sie stören sein Leben, und sie müssten und würden es, (…) wenn ihnen nicht Halt geboten würde, zerstören. Gerade als Entfaltungen und Bewährungen seiner Freiheit, als Gestaltungen seiner inneren und äußeren Lebenskraft und Lebenslust, als mächtige Erfüllungen, Erweiterungen und Vertiefungen seines geschöpflichen Daseins stellen sie sich ihm zwar, wenn sie sich noch im Status nascendi befinden, dar, locken und fordern sie ihn heraus, es in immer neuen Experimenten und Unternehmungen mit ihnen zu wagen. Sie sind aber nicht umsonst die Fiktionen, die Illusionen, die Lügengeister, die sie sind. (...) Sie berauben die Menschen gerade ihrer von ihnen missbrauchten und damit im voraus preisgegebenen Freiheit. Sie unterdrücken die Menschen, sie bewegen sie nach den Gesetzen ihrer eigenen Dynamik und Mechanik. Sie machen sie zu Untertanen, zu Papageien, zu Drahtpuppen oder eben: zu Robotern.« (Karl Barth, § 78 Der Kampf um die menschliche Gerechtigkeit; in: Das christliche Leben 1959-1961 (GA II.7), 397f) 

Männerheim(at)

»Wie fremd und wie weit weg ist für uns Palästina, die Heimat Jesu. Und grad aus dieser Fremde kam zu uns die erlösende Botschaft und das Kreuz, welches wir zum Zeichen unserer Heimat machten. Ach, Heimat und Fremde sind keine Gegensätze. Jenseits der Grenzen sind auch Menschen, sind Kinder des Vaters im Himmel, mit denen er die nämlichen [=dieselben] Absichten hat, wie mit uns. Das Fremdartige ist nur äußerlich, durch die andern Lebensbedingungen, das andere Klima oder durch andere Schicksale hervorgebracht. Überall aber ist die Sehnsucht nach Gott und nach seinem Frieden, überall aber auch Not und Knechtschaften. Durch Christus aber sind alle Völker berufen zu derselben Hoffnung des Reiches Gottes.« (Karl Barth, Unterweisungsjahr 1916/17, in: Konfirmandenunterricht 1909-1921 (GA I.18), 174)

Ungeheuer

»Eines aber hat mit dieser ganzen [technischen] Entwicklung keineswegs Schritt gehalten, nämlich das gewissenhafte Antworten auf die einfache Frage nach der Lebensnotwendigkeit all dieses Könnens und Wollens. (…) wieviele von unseren modernen Bedürfnissen sind nun eigentlich notwendige: gerechtfertigte, gesunde und auch nur echt empfundene Bedürfnisse? Sind uns – um nur Eines zu nennen – alle die Verkehrsbeschleunigungen, die uns heute angeboten sind, wirklich unentbehrlich? Wegen der Zeit, die wir damit gewinnen? Als ob die vernünftigen Menschen vergangener Tage bei weniger raschem Verkehr für das wirklich Notwendige nicht genug Zeit gehabt hätten! Und als ob die Unvernünftigen unserer Tage nicht für das Notwendige bei aller Raschheit unseres Verkehrs immer noch zu wenig Zeit hätten! Ist es nicht klar, dass zwischen dem heutigen technischen Können, Wollen und Vollbringen und seinem Angebot auf der einen, und dem echten menschlichen Bedarf, (...) die seltsamste Kluft besteht? (...) Es kann nicht anders sein: die unsere wirkliche Lebensnotwendigkeit überschießende Macht, die Technik, die im Grunde sich selber Sinn und Zweck ist, die, um bestehen und um sich weiter verbessern zu können, immer neue problematische Bedürfnisse erst hervorrufen muss, muss wohl das Ungeheuer werden, als das es sich heute weithin darstellt, muss schließlich, absurd genug, zur Technik der Störung und Zerstörung, des Krieges und der Vernichtung werden.« (Karl Barth, § 55 Freiheit zum Leben, in: KD III,4 (§§ 52-56), 450f)

Spa(h)n-Plattenpresse

»Ein feinsinniger christlicher Denker der Gegenwart (Wilfred Monod) hat bemerkt, indem wir das Abendmahl feiern, vollziehen wir jedesmal still und unsichtbar einen vollständigen Umsturz der gegenwärtigen Welt- und Gesellschaftsordnung. Es ist wahr. Da essen wir alle vom selben Brot und trinken vom selben Wein, aus denselben Händen empfangen wir Alles; da ist keiner bevorzugt und keiner benachteiligt, sondern Alle bekommen einfach, was sie brauchen. Das ist in der Tat vorläufig ein Bild aus einer andern, zukünftigen Welt und passt herzlich schlecht zu dem Jagen und Rennen und Rasen um Verdienst und Gewinn, von dem unser gegenwärtiges Leben beherrscht ist. Umso wertvoller ist es uns als Weissagung auf jene zukünftige Welt und als Mahnung, schon jetzt unser Herz dorthin vorauszuschicken und daran zu arbeiten, dass die bessere Zukunft Gegenwart werde.« (Karl Barth, Predigt zu 1. Kor 11,23-26, in: Predigten 1913 (GA I.8), 113f) 

Für die Tonne

»Propaganda ist Schwarz-Weiß-Malerei als die besondere Kunst und das Meisterwerk der Ideologien: die systematische Herausstellung je ihrer eigenen Vortrefflichkeit und Brauchbarkeit auf dem Hintergrund des Nachweises der völligen Nichtswürdigkeit und Verderblichkeit ihrer jeweiligen Konkurrenten und Gegenspieler. Propagandistische Worte und propagandistische Taten lassen sich dabei in der fruchtbarsten Weise kombinieren. Propaganda kann direkt oder indirekt, sie kann vom Dorfschmied grob und vom Feinmechaniker raffiniert, sie kann ganz bieder und wohlmeinend, sie kann auch giftig und bitter, sie kann natürlich auch geschickt oder ungeschickt getrieben werden. Wurde sie irgendwie zu allen Zeiten getrieben, so hat sie sich doch seit den bescheidenen kleinen Zeitungen des 17. Jahrhunderts durch die Erfindung und den Gebrauch der bekannten neuen, immer wirksameren Instrumente in einem so noch nie dagewesenen Tempo und Maß entwickelt. Man merke: die Wahrheit braucht und treibt keine Propaganda. Sie spricht, indem sie die Wahrheit ist, unmittelbar für sich selbst und gegen die Lüge. Propaganda ist das sichere Anzeichen, daß es sich, wo sie getrieben wird, nicht um die Wahrheit, sondern um eine Ideologie handelt, die sie nötig hat, deren Wesen sie entspricht und die keine Scham kennt, von ihr Gebrauch zu machen« (Karl Barth, in: Das christliche Leben 1959-1961 (GA II.7), 388)  

Wüste Leute

»Ich muss euch wieder einmal etwas von der Sozialdemokratie sagen. In den Zeitungen, die ihr lest und denen ihr Glauben schenkt, sagt man euch, die Sozialdemokraten sind wüste Leute, sie stören den Frieden. Richtig, wenn man's oberflächlich ansieht, ist es so. Fragt sich nur, welchen Frieden sie stören. In Wirklichkeit ist es nur der Friede einer gegenwärtig geltenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die aber durchaus nicht so von Gott eingesetzt, sondern vielmehr erst ziemlich spät als ein künstliches Produkt menschlichen Eigennutzes entstanden ist, eine Ordnung, die Millionen nötigt, mit ihren Frauen und Kindern Knechte des Geldes zu sein, eine Ordnung, die aufgebaut ist auf dem Grundsatz, dass der der Oberste sein müsse in der Welt, der die stärksten Ellenbogen habe. Den Frieden dieser Ordnung stören die Sozialisten, das ist wahr« (Karl Barth, Predigt zu Mt 10,34, in: Predigten 1913 (GA I.8), 582f) 

Zutiefst beunruhigt

 »Wir werden in unserm Leben wohl nur selten, vielleicht gar nie einem Menschen von dieser echten Prophetenart begegnen, einem, der uns bis ins Innerste beunruhigt, damit wir aus ruhenden zu suchenden Seelen werden. Diese Prophetenart ist dünn gesät. Die Menschen, denen wir begegnen, gleichen entweder den falschen Propheten, d.h. sie lassen uns machen oder helfen uns noch gar in unsrer gewohnten Weise, statt dass sie uns stören und uns zum Suchen und Fragen anleiten. Oder aber sie regen wohl Gedanken und Zweifel in uns an über unser bisheriges Wesen, aber es geht nicht in die Tiefe, sie kommen nicht bis zur Wurzel. Sie erzeugen nur eine oberflächliche Bewegung in uns, nicht die große heilsame Unruhe, die zum ernsthaften Suchen nach Gott wird auf den Trümmern dessen, was wir vorher für das Höchste hielten.« (Karl Barth, Predigt zu Amos 5,4, in: Predigten 1913 (GA I.8), 251)

Gut gedüngt

»Der Mammon ist's, der ins Feuerlein der nationalen Leidenschaften geblasen hat hüben und drüben, der den Völkern eingeflüstert hat, ihre Interessen seien gefährdet, wenn der Andere, der da drüben, nicht einmal gründlich gedemütigt werde, hat den Millionen das Gewehr in die Faust gepresst, ob sie gleich nicht wollten, und freut sich nun des angerichteten Schadens, denn seine Zinsen laufen weiter, und wenn die Erde gut gedüngt ist mit Menschenblut, gedeihen nach alter Erfahrung seine Saaten umso besser. Das heißt: in der Hölle und in der Qual. So brennt es uns auf den Fingern, dass wir uns dem Schein ergeben haben. So muss es zugehen, solange eine gottfremde, gottlose Macht über uns herrscht!« (Karl Barth, Predigt zu Lukas 16,19-26, in: Predigten 1915 (GA I.27), 267)  

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