Leben und Sterben nach der sog. Sterbehilfe-Debatte

Interview mit Marco Hofheinz

© Jswlee/sxc.hu

Nach einer hochemotional geführten Debatte zum Thema Sterbehilfe hat sich der Deutsche Bundestag im November 2015 gegen eine geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid entschieden. Alle Grauzonen sind damit jedoch nicht beseitigt.

Marco Hofeinz, Theologie-Professor mit dem Schwerpunkt Ethik in Hannover, erläutert grundlegende Fragen angesichts der neuen gesetzlichen Regelung in §217 StGB zu geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung:
"(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht."

reformiert-info: Was genau unterscheidet die geschäftsmäßige Beihilfe gemäß §217 von der gewerblichen Beihilfe zum Siuzid?

Hofheinz: Nun, bis hinein in die Medien wurde die Unterscheidung zwischen geschäftsmäßiger Beihilfe und der deutlich enger gefassten gewerbsmäßigen Beihilfe nicht nur nicht beachtet, sondern falsch darstellt. Oft fand eine Verwechselung statt. Umso dringlicher ist korrekte Information. Mit der „geschäftsmäßigen Förderung“ des Suizids, die als Tatbestand neu in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, ist eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit gemeint. Das Gesetz zielt auf geschäftsmäßige Sterbehelferinnen und -helfer ab, also in dieser Sache besonders aktive Einzelpersonen und vor allem umstrittene Sterbevereine, die den assistierten Suizid gegen  Zahlung einer Mitgliedschaftsgebühr anbieten. Auch und gerade die verdeckte gewerbsmäßige Weiterarbeit von Sterbehilfevereinen soll unterbunden werden.

Kritikerinnen und Kritiker des neuen Gesetzes befürchten aber doch auch, dass auch die Ärzteschaft, insbesondere Palliativmedizinerinnen  und -mediziner, betroffen sind. Sie würden kriminalisiert, wenn sie Todkranken beim Sterben helfen würden – so der Vorwurf. Und zwar müssten sie mit der ernsthaften Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen rechnen.

Hofheinz: Nicht die Ärzteschaft generell ist betroffen. Der Beschluss bezieht sich auf alle, die Beihilfe zum Suizid „zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit machen“ – wie es in der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt. Straffreiheit wird Ärztinnen und Ärzten, Angehörigen und Nahestehenden gewährt, wenn es sich nicht um eine „geschäftsmäßige“, d.h. um eine „auf Wiederholung angelegte“ Tätigkeit handelt. Es geht nicht um die Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, sondern um die Benennung von Grenzen, die einen Spielraum zwischen Liberalisierung und striktem Verbot eröffnen. Dort ist gleichsam der Raum der Freiheit angesiedelt, der einer Begrenzung bedarf und durch die rechtliche Regelung umrissen wird. Das entspricht im Übrigen auch alttestamentlicher Gebotslogik, wie sie Gerhard von Rad nachgezeichnet hat.

Grenzen ohne Eleminierung der Grauzonen. Was soll das?

Hofheinz: Die Grenzen werden zwar definiert, aber sozusagen ohne die Eliminierung sämtlicher Grauzonen. Dies geschieht durchaus absichtsvoll, denn der Raum für persönliche Gewissensentscheidungen in Einzelfällen soll nicht verschlossen werden. Insofern handelt es sich gerade nicht um eine fahrlässig unzureichende, sondern vielmehr zu diesem Zweck zureichende Präzision. Karl Barth hat von „Grenzfällen“ gesprochen. Diese können nicht minutiös a priori festgelegt, sollen aber durch einen hinreichend weiten und zugleich hinreichend engen Spielraum ermöglicht werden. Aus dem Grenzfall darf eben kein Normalfall werden, aus dem assistierten Suizid kein Regelangebot oder eine Kassenleistung, kein „Tod auf Rezept“.

Gibt es so genügend Rechtssicherheit?

Hofheinz: Ich bin der Meinung, dass mit dem neuen Gesetz ein hinreichendes Maß an Rechtssicherheit besteht. Es ermöglicht eine persönliche Gewissensentscheidung, hebt aber zugleich das Standesethos und auch jenes Berufsrecht nicht auf, wonach Ärztinnen und Ärzte sich grundsätzlich nicht an Selbsttötungen beteiligen. Eine unter Umständen individualethisch verantwortbar erscheinende Tat wird damit nicht sozialethisch ausgeweitet und festgeschrieben.[1] Aus dem Einzelfall wird also gerade keine allgemeine Regel gemacht.

Kannst Du dies noch etwas näher erläutern?  

Hofheinz: Es geht um den Schutz des Verhältnisses zwischen Ärzt/innen und Patient/innen, wenn mit dem Beschluss klargestellt wird, dass Suizidassistenz keine ärztliche Tätigkeit oder gar eine ärztliche Behandlungsmethode darstellt – wie dies zum Teil in unseren Nachbarländern, etwa Belgien und den Niederlanden, der Fall ist. Die Ärzteschaft wird m.E. gerade dadurch geschützt, dass das neue Gesetz klärt: Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Patientin und des Patienten lässt sich keine Verpflichtung oder Berechtigung seitens der Ärztin und des Arztes ableiten, sich an der Selbsttötung zu beteiligen. Ein Ärztinnen- oder Ärztebild, wonach die Ärztin bzw. der Arzt ein Wunscherfüllungsautomat der Patientin bzw. des Patienten ist, wurde eine Absage erteilt.

Nun könnte man natürlich an dieser Stelle für ein Freiwilligkeitsprinzip plädieren, wonach keine Ärztin und kein Arzt zu einer Suizidassistenz gezwungen werden darf. Allerdings würde sich bei einer solch vordergründigen Stärkung des ärztlichen Selbstbestimmungsrechts das Problem ergeben, dass mit der Suizidbeteiligung der Ärztin bzw. des Arztes de facto eine Unterscheidung zwischen wertem und unwertem Leben verbunden wäre. Der uneingeschränkt positive Wert oder besser gesagt: die Würde des Menschen bliebe aber auf der Strecke, wenn solche Unterscheidungen und damit Urteile generell zur Disposition gestellt würden. Mit dem Beschluss des Bundestages wird indes klar: Ärztinnen und Ärzte, die sich generell solche Urteile zutrauen, können sich nicht moralisch hinter dem Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten verstecken.[2]

Besteht eigentlich Anlass zur Erwartung, dass das Gesetz mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung doch noch kippt?

Hofheinz: Nein, ich glaube nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar die Beschwerde des Vereins Sterbehilfe Deutschland gegen das neue Gesetz abgewiesen und zwar folgenabwägend mit dem Hinweis darauf, dass die Inanspruchnahme professioneller ärztlicher Unterstützung für einen Suizidwunsch nicht gänzlich ausgeschlossen sei.[3] Es ist davon die Rede, dass der Gesetzgeber die zunehmende Verbreitung des assistierten Suizids realisiert hat und der Gefahr entgegenwirken will, dass der fatale Anschein einer Normalität und gar einer Gebotenheit der Selbsttötung entsteht.

Meine ernsthafte Sorge richtet sich über den Bundestagsbeschluss hinaus auf die bedrückenden Momente, die die Sterbehilfe-Debatte des letzten Jahres hinsichtlich des Umgangs mit behinderten Menschen zeigte. Darauf hat auch der EKD-Ratsvorsitzende hingewiesen: „Wenn sich hochrangige Menschen in Talkshows setzen und ankündigen, sie brächten sich um, weil sie nicht verblöden wollten, dann hat das Folgen – die soziale Hinrichtung einer ganzen Gruppe.“[4] Sorge bereitet mir aber auch jene in der Debatte bisweilen unverhohlen ökonomisch daherkommende, Menschenwürde eliminierende Argumentation, die sich aus Kostengründen bei einer kopfstehenden Alterspyramide für eine Verbotsaufhebung gar der Tötung auf Verlangen ausspricht.

Die Zeitungen waren nach dem Beschluss voll von zum Teil wütenden Leserbriefen, die von eklatanter Missachtung und Bevormundung oder gar Entmündigung der Bevölkerungsmehrheit sprachen, die für eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids sei.

Hofheinz: Das ist richtig. Auch ich habe solche Briefe wahrgenommen. Freilich ist es so, dass seriöse Umfragen durchaus ein differenziertes Bild zeichnen. In der Tat waren 63 Prozent der Befragten eher für Beihilfe zur Selbsttötung und nur 31 Prozent votierten eher dagegen. Die bundesweite Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts (SI)[5] der EKD zeigt aber auch, dass je älter die Menschen werden, umso wahrscheinlicher also die direkte Betroffenheit wird, auch die Zurückhaltung gegenüber der Tötung auf Verlangen, sprich dem, was als aktive Sterbehilfe bekannt ist, steigt.

Und noch etwas hat mich nachdenklich gemacht, nämlich der Umstand, dass über 60 Prozent der Befragten fürchten, dass durch eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung der Druck auf diejenigen Menschen erhöht wird, die ihrer Familie nicht zur Last fallen möchten. In einem Leserbrief stellte ein chronisch kranker Mann besorgt die Frage: „Wie wird sich eigentlich ein Mensch fühlen, wenn er nicht will, wenn er noch nicht will, aber auf der Stirn der ihn versorgenden Menschen geschrieben steht: Du könntest, wenn du wolltest?“[6]

Ist das ein Argument gegen die Legalisierung?

Hofheinz: Ja, in der Tat. Vor einigen Jahren hat der damalige Bundespräsident Johannes Rau den Satz geprägt: „Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet“. Dahinter steckt ein m.E. berechtigtes sozialkulturelles bzw. verantwortungsethisches Argument, das mit der Suggestivkraft von Legalisierung rechnet – nach dem Motto: „Was man darf, das soll man auch.“ Natürlich gibt es, wie nicht zuletzt Kant verdeutlichte, einen Unterschied zwischen Legalität und Legitimität.

Aber es wäre blind, die eben auf die Verkennung dieses Unterschieds abzielenden Ängste von betroffenen kranken und schwachen Menschen zu ignorieren. Und das Recht hat die Funktion, insbesondere die Schwächsten zu schützen. Und die Schwächsten sind in diesem Fall diejenigen, die sich, unterstützt von einer entsprechend laxen Regelung, als Last für andere begreifen und deshalb „freiwillig“ sterben wollen. „Freiwillig“ wohlgemerkt in Anführungsstrichen, denn eine solche Regelung generiert gleichsam Erwartungshaltungen. Das neue Gesetz schützt hingegen Patientinnen und Patienten davor, sich überhaupt auf die gesellschaftliche und/oder individuellen Druck erzeugende „Wertlogik“ einzulassen und den „Wert“ des eigenen Lebens prüfend infrage zu stellen.

Ist das nicht auch biblisches Denken?

Hofheinz: Diese rechtsethische Überzeugung dürfte tatsächlich eine Frucht alttestamentlichen Rechtsdenkens sein. Dass der Schutz des Rechtes besonders denen zugutekommt, die in besonderer Weise des Schutzes bedürfen, darin unterscheidet sich alttestamentliches Rechtsdenken stark von einem aristokratisch geprägten Verständnis. „Wer wenig im Leben hat, soll viel im Recht haben“, hat einmal ein bedeutender Jurist – es war Helmut Simon – gesagt.

Es geht, bezogen auf die sog. Sterbehilfe-Debatte, darum, diejenigen zu schützen, die denken und fragen: „Habe ich überhaupt noch ein Recht da zu sein – jetzt, wo ich anderen offenbar nur noch zur Last falle.“ Wolfgang Huber hat in der öffentlichen Anhörung im September letzten Jahres zu Recht gewarnt: „Die Tür, die im Namen der Selbstbestimmung des Patienten geöffnet wird, […] führt zu offener oder versteckter Fremdbestimmung.“[7] Von einem geschäftsmäßigen Angebot der Suizidbeihilfe gehen – wie gesagt – eben Anreize aus, diese tatsächlich auch zu gebrauchen. Sterben und Tod aber dürfen nicht – wie Huber herausstreicht – in den Sog der „Anreizökonomie“ geraten.

Und doch will die Mehrheit nicht nur selbstbestimmt leben, sondern auch selbstbestimmt sterben.

Hofheinz: Auch hier lohnt sich ein genauerer Blick auf die bereits erwähnte EKD-Studie. Das Selbstbestimmungspathos: „Mein Ende gehört mir“, ist vor allem das Pathos der vitalen, jüngeren Menschen meiner Alterskohorte (laut EKD-Studie der 40- bis 49-Jährigen), die zumeist gar keine eigenen Erfahrungen im Umgang mit dem Sterben haben. Bei ihnen sind die Ängste vor einem langen Siechtum, vor Schmerzen und Atemnot, ja unerträglichen Qualen besonders ausgeprägt – mithin also jene Motive, die hinter dem Plädoyer für eine Legalisierung des assistierten Suizids oder gar der Tötung auf Verlangen stehen.

Eine Mehrheit in Deutschland wünscht sich nicht nur ein möglichst schmerzfreies Sterben, sondern auch ein Sterben daheim in Begleitung anderer Menschen. Was die Autonomie betrifft, so ist das Selbst nicht einfach ein unabhängiger Souverän, sondern eingebunden in Relationen, in Beziehungen und Kommunikation. Zum Selbst gehören auch Erfahrungen von Passivität, Widerfahrnis, Fragmentarität, Vergeblichkeit und Krankheit. Insofern sollte man sich hüten, einen Autonomiebegriff gegen diese Erfahrungen zu konstruieren. Autonomie rein als negative Freiheit zu deuten, würde verkennen, dass Kommunikation eine Ausdrucksform von Freiheit ist.

Mir geht es keineswegs darum, den Wunsch nach Selbstbestimmung zu verteufeln. Gerade theologisch ist freilich die Frage nach dem „Selbst“ zu stellen, das bestimmen soll. Und wer so fragt, wird schnell merken, dass eben nicht die Selbstbestimmung den Kern menschlicher Würde ausmacht. Zum Stichwort „Autonomie“ hat während er letztjährigen Debatte der Medizinhistoriker Cornelius Borck treffend bemerkt: „Sterben ist der ultimative Autonomieverlust […]. Und wenn jetzt eine medizinische Sterbehilfe diskutiert wird und nicht die Hilfe im Sterben als ärztliche oder pflegerische Begleitung, steht dahinter ein problematisches Festhalten an der Formel der Autonomie, die im Sterben immer auch in ihrer Unmöglichkeit zu reflektieren ist.“[8]

Trotzdem bleibt die Frage: Wie kann man der Angst vor Schmerzen und Siechtum begegenen?  

Hofheinz: Zum einen ist m.E. zunächst darauf hinzuweisen, dass mit der vor sieben Jahren eingeführten Patientenverfügung ein hohes Maß an Recht auf Selbstbestimmung eingeräumt wird. Zum anderen wird man der Angst vor furchtbaren Schmerzen und einem langen Todesprozess vor allem durch einen Ausbau der Palliativversorgung begegnen müssen.

Es gilt zu beachten, dass der Entscheid des Deutschen Bundestags im Zusammenhang mit dem tags zuvor verabschiedeten und von Bundesgesundheitsminister Gröhe vorgelegten Hospiz- und Palliativgesetz steht. Danach soll die Versorgung (auch daheim durch ambulante Hilfsdienste) von totkranken Patientinnen und Patienten angesichts z.T. großer regionaler Unterschiede verbessert werden. Zusätzliche 200 Millionen Euro sind dafür vorgesehen.[9]

Vermutlich ist dies sogar das ungleich bedeutendere, weil hinsichtlich der Suizidprävention effektivere Gesetz. Der Unterfinanzierung von unterbesetzten und darum bloß verwaltenden statt begleitenden Kliniken und Heimen muss tatsächlich auch und gerade in Zeiten zunehmender Ökonomisierung von Medizin und Pflege begegnet werden. Für Kirche und Diakonie geht es hier um einen Glaubwürdigkeitstest. Das kirchliche und diakonische Engagement für den Brand-Griese-Gesetzesentwurf wurde und wird von vielen als Versprechen wahrgenommen, sich effektiv dafür einzusetzen, dass sich verzweifelte Menschen eben nicht vor den Zug werfen oder aus dem Fenster stürzen müssen, um unerträglichen Schmerzen und den bisweilen unzumutbaren Zuständen in Pflegeeinrichtungen eines gesichtslosen Versorgungssystems zu entgehen.

In der Debatte wurde oftmals das Argument der suizidpräventiven Wirkung einer Liberalisierung gezückt. Danach werden Suizide gerade dadurch verhindert, dass das von Angst entlastende Vertrauen unheilbar kranker Patientinnen und Patienten in Ärztinnen und Ärzte dadurch gestärkt werde, dass diese ihre Patientinnen  und Patienten nicht aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen unter bestimmten Umständen allein lassen müssten.    

Hofheinz: Ich bin davon überzeugt, dass der genannte Ausbau der Palliativversorgung die beste Suizidprävention darstellt. Er ist der oftmals – sei es zu Recht oder zu Unrecht – unterstellten suizidpräventiven Wirkung einer Liberalisierung von assistiertem Suizid oder gar einer Tötung auf Verlangen vorzuziehen.

Das Vertrauen, von einer Ärztin oder einem Arzt nicht allein gelassen zu werden, das den Suizidwunsch in den Hintergrund treten lasse, ist m.E. nicht unmittelbar mit der Liberalisierung der sog. „Sterbehilfe“ gekoppelt, sondern hängt eben von den bisherigen Betreuungserfahrungen der Patientinnen und Patienten ab. Das Beim-Sterben-Bleiben – das ist der eigentliche Grundakt wahrer „Sterbehilfe“. Der Palliativmediziner Stefan Kahapka hat in diesem Sinne einmal gesagt: „Wir sind hier [auf der Palliativstation] auch Sterbehelfer, aber Helfer im natürlichen Sterben. Wir Ärzte wollen doch keine Tötungshelfer sein.“[10]       

In der Debatte wurde auch der Vorwurf laut, dass rein christlich-religiöse Überzeugungen kulturimperialistisch in Gesetzesform gegossen würden. Du selbst hast ja auch vorhin das Stichwort „Kulturkampf“ gebraucht.

Hofheinz: Im Sinne eines legitimen staatlichen Religionsverfassungsrechts wäre so etwas in der Tat in einem weltanschaulich-neutralen Staat problematisch. Auf diesen Vorwurf, der etwa von Renate Künast und Petra Sitte erhoben wurde, hat – wie ich finde – Matthias Drobinski in der „Süddeutschen“ eine treffende Antwort gegeben: „Ein Gesetz, das rein christliche Überzeugungen für alle verpflichtend macht, darf es nicht geben. Deshalb wäre ein ausnahmsloses Verbot des assistierten Suizids problematisch.

Dass Abgeordnete aber aus ihren ethischen und religiösen Überzeugungen heraus Gesetze beschließen, darf man ihnen nicht vorwerfen. Renate Künast tut das auch, und sie hat alles Recht dazu. Soviel Ehrlichkeit sollte sein.“[11] Dass alle diejenigen Abgeordneten, die für den Brand-Griese-Entwurf stimmten, überzeugte Christinnen und Christen sind oder auch nur ein christliches Menschenbild teilen, das sie zudem der gesamten Gesellschaft aufoktroyieren wollen, halte ich – mit Verlaub – für eine Mär. 


[1] Ähnlich Wolfgang Huber, Pflicht zur Heilung, Zeitzeichen 2/2011, 14f.

[2] Vgl. Thomas Pollmächer, Töten ist nicht ihr Geschäft, SZ vom 12.11.2015, Nr. 261/2015, 2.

[3] Vgl. Wolfgang Janisch, Sterbehilfe-Verbot bleibt, SZ vom 9./10.1.2016, Nr. 6/2016, 7.

[4] HAZ vom 13.5.2015, Nr. 110/2015, 1.

[5] Sozialwissenschaftliches Institut (SI) der EKD, Sterben? Sorgen im Angesicht des Todes. Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage, unter: https://www.ekd.de/download/150512_Ergebnisse_Umfrage_zum_Sterben.pdf (abgerufen: 1.3.2016).

[6] SZ vom 12.11.2015, Nr. 261/2015, 15.

[7] Zit. nach Renate Meinhof, Macht doch, was ihr wollt, SZ vom 3.11.2016, Nr. 253/2015, 3.

[8] Zit. nach Renate Meinhof, Macht doch, was ihr wollt, SZ vom 3.11.2016, Nr. 253/2015, 3.

[9] Vgl. Kim Jörn Becker, Die letzte Begleitung, SZ vom 5.11.2015, Nr. 255/2015, 6.

[10] Zit. nach Renate Meinhof, Macht doch, was ihr wollt, SZ vom 3.11.2016, Nr. 253/2015, 3.

[11] Matthias Drobinski, Nicht entscheiden ist auch eine Entscheidung, SZ vom 4.11.2015, Nr. 254/2015, 4.

Hannover, Frühjahr 2016

 

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