„Calvin …und was vom Reformator übrig bleibt“ lautet der Titel des letzten Werkes von Klaas Huizing. Huizing, 1958 in Nordhorn geboren und in der altreformierten Gemeinde Uelsen aufgewachsen, „lehrt Systematische Theologie an der Universität Würzburg und ist Chefredakteur des Kulturmagazins „OPUS“ in Saarbrücken… Seine Romane, unter anderem „Der Buchtrinker“ und der Kant-Roman „Das Ding an sich“ wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.“ Insgesamt hat Huizing schon über zwanzig Bücher geschrieben.
Seit Oktober 2008 ist „Was vom Reformator übrig bleibt“ auf dem Markt. Es ist in der „edition chrismon“ erschienen und umfasst 160 Seiten. Das Buch bringt seinen Lesern Calvin auf eine überraschende und erhellende Art und Weise nahe. Es ist wohl eher für geübte Leser und Leserinnen geschrieben: Nicht immer übersetzt der Autor auch etwa lateinische Zitate oder Begriffe ins Deutsche.
Wer allerdings Stücke von Calvin selbst liest oder gelesen hat, sollte sich Huizing nicht entgehen lassen. Er verbindet elegant und leicht das Modelabel Calvin Klein, Texte von Wikipedia und den Comic „Calvin und Hobbes“ mit dem Reformator Johannes Calvin.
Huizing bezeichnet sich selbst als „gelernter holländischer Calvinist“ und erzählt eingangs von seiner Jugendzeit. Er kann recht bissig schreiben: „Wer sich dicke Autos leisten konnte, durfte davon ausgehen, dass Gott ihn erwählt und nicht verworfen hatte.“ Er fragt gezielt nach: „Dient also der Erfolg der Stärkung der Heilsgewissheit?“
Ein Hauptwort seiner Sicht auf Calvin, das mir sehr gefallen hat, lautet: Entängstigung. An diesem Begriff will Huizing den Wert der „Doppelten Prädestination“ messen. „Wer Calvin verstanden hat, versteht die Gegenwart besser“ lautet seine These.
Huizing „liest“ in den Gesichtern von Luther und Calvin: Er zeichnet Calvin als asketisch, leidenschaftlich, ernst und besorgt und Luthers Gesicht als rund, ein wenig feist und feierfreundlich mit einladenden Augen. Calvin hat Schweres erlebt: Sein Vater und sein Bruder wurden von der Katholischen Kirche exkommuniziert, er selbst durfte gerade einmal neun Jahre verheiratet sein, bevor der Tod ihm seine Frau nahm. Das einzige gemeinsame Kind, ein Sohn, ist wenige Tage nach der Geburt verstorben.
Huizing zeigt auf, wie sehr Calvin von dem Studium der antiken Philosophen geprägt ist. Jemand hat sogar behauptet, Calvin sei einer der besten Latinisten des 16. Jahrhunderts. Schon im Jurastudium und in seinen philosophischen Studien hat er gelernt, auf das Wort zu achten. Calvin findet in der Bibel seine eigene Geschichte zurück.
„Es kommt (bei Calvin) alles auf die Ehrerbietung der Schrift an… Calvin beugt und verbeugt sich vor der Schrift. Durch die Schrift (das Wort) hat Gott, so die Pointe, Calvin erwählt!“
In Genf bildeten Vertreter aus den verschiedenen (politischen) Stadträten gemeinsam mit den Pastoren den Kirchenrat. In Basel kontrollierten die Zünfte die Einhaltung der Abendmahlspflicht. Calvin musste in einem zähen Kleinkrieg die Autonomie der Kirche gegen den dominierenden Einfluss der (Stadt)Räte verteidigen. Da ging es etwa um die Frage, ob die Exkommunikation, der Ausschluss aus der Kirche also, eine religiöse Handlung sei oder eine weltlich-politische.
Wenig später lässt der Magistrat von Genf die Texte über Erwählung und Verwerfung aus der Institutio, dem großen Lehrbuch Calvins, in der Ratsversammlung verlesen und als Beschluss festschreiben. „Wer ab jetzt gegen Calvin opponiert, opponiert auch gegen den Magistrat.“
Die Leugnung der Trinität, der Dreieinigkeit Gottes, wird als Angriff auf das Gemeinwesen, den Staat, gesehen und mit der Todesstrafe geahndet. Calvin lebt in einer völlig anderen Welt als wir heute!
Huizing vertritt die Ansicht: Die Verfassung von Calvins Kirchenregiment führte „Elemente mit sich, die die demokratische Entwicklung Mitteleuropas und Amerikas zunächst unterschwellig und dann ganz offensiv beförderte.“ Dabei denkt er vor allem an die Kirchenzucht. „Das Ziel ist ein gläserner Gläubiger.“ Anders ausgedrückt: Es geht Calvin um die Transparenz des Lebens. Dabei stehen Milde und Hilfe zum Leben und zum Glauben im Vordergrund.
„Luther hatte Obrigkeit und Gesetz noch nahezu identifiziert… Es lässt sich behaupten, dass die Bejahung eines Widerstandsrechtes gegen einen Unrechtsstaat erst in dieser von Calvin vertretenen... Haltung zur Quelle der modernen Demokratie wurde… Calvin setzte eine Bewegung in Gang, die letztlich gegen Calvins Intention, zu einer Trennung von Kirche und weltanschaulich neutralem Staat führen wird.“
Ich habe das Buch fast in einem Zug mit großem Gewinn ausgelesen. Es gibt viele gute Anstöße – nicht nur für „holländisch gelernte Calvinisten“.
Klaas Huizing
Calvin … und was vom Reformator übrig bleibt
Edition Chrismon, Frankfurt 2008
ISBN 978-3-938704-67-7, 160 Seiten, 9,80 €
Am Montag, den 23. März 2009, um 20.00 Uhr hält Huizing einen Vortrag zum Thema seines Buches auf der Siebten Emder Tagung zur Geschichte des Reformierten Protestantismus in der a Lasco Bibliothek in Emden.
Ebenfalls im Juli 2009 soll auf Arte ein sechzigminütiger Film laufen, den Huizing angeschoben hat und für den er als wissenschaftlicher Berater fungiert hat.
An der Uni Würzburg haben im letzten Semester etwa dreißig Studenten mittwochs um acht Uhr morgens gemeinsam Calvins Institutio gelesen. In Kampen habe ich vor dreißig bis 35 Jahren Theologie studiert, ohne Calvin ein einziges Mal zu hören oder zu lesen. gjb
Quelle: DER GRENZBOTE vom 09.11.2008 auf: www.altreformiert.de