Jesus Christus als Prophet, Lehrer, König bestimmt die Gestalt seiner Gemeinde

Calvins Lehre vom dreifachen Amt Christi und seiner Gemeinde

© Andreas Olbrich

Berühmt berüchtigt ist Calvins Genfer Kirchenordnung unter dem Schlagwort der „Kirchenzucht“, vergessen schnell das eigentliche Anliegen der Kirchenordnung: die christliche Gemeinschaft zu gestalten als Leib Christi.

Christus soll in der Kirche allein herrschen und dementsprechend – so Calvin - deren Botschaft sowie deren Gestalt und Ordnung bestimmen. Dem dreifachen Amt Christi als Prophet, Priester und König entsprechen in der Gemeinde die drei Leitungsaufgaben: das Amt der Predigt, dem das Amt der Lehre beigestellt ist, das der Diakonie und das der Ältesten, die die presbyteriale Ordnung wahren (Institutio II,15 – IV,3,8-9).

Nicht du trägst das Amt, sondern das Amt trägt dich

Die Ämter sind Funktionen am Leib Christi. Dabei gründet sich die Autorität der mit den unterschiedlichen Aufgaben in der Gemeinde betrauten Personen nicht auf ihrem menschlichen Ansehen, sondern in dem Amt selbst. Die Amtsträger ihrerseits sind verpflichtet, nicht nach ihrem eigenen Urteilen und Denken in der Gemeinde zu reden, "sondern aus dem Mund des Herr" (Institutio IV,8,2): "Deshalb müssen wir hier bedenken, dass alles, was der Heilige Geist in der Schrift den Priestern oder auch den Propheten oder den Aposteln oder den Nachfolgern der Apostel an Autorität und Würde überträgt, voll und ganz nicht eigentlich den Menschen selbst beigelegt wird, sondern dem Amte, dem sie vorstehen, oder, um deutlicher zu reden, dem Worte, dessen Dienst ihnen anvertraut ist."

Bei der Berufung in ein Amt werden seine Träger verpflichtet, "nichts aus sich selbst heraus vorzubringen, sondern aus dem Mund des Herrn heraus zu reden." Calvin verweist zur biblischen Begründung dieses Amtsverständnisses auf Mose, den "Obersten aller Propheten", der nur das verkündigen konnte, "was von dem Herrn kam" (vgl. 2.Mose 3,4ff.) und auf die Priester, die gemäß 5.Mose 17,10f. "ihren Spruch ‚nach dem Gesetz‘ Gottes tun" (Institutio IV,8,2).

In der Genfer Kirchenordnung von 1541 und der überarbeiteten Fassung von 1561 wird Calvins Ämterlehre in die Praxis umgesetzt. Allerdings muss Calvin dazu einige Abstriche von seiner Idealvorstellung machen. Die von ihm geforderte Eigenständigkeit der Kirche bei der Besetzung der kirchlichen Ämter und der Durchführung der Kirchendisziplin konnte er im Genfer Rat nicht durchsetzen. Die Ältesten z.B. wurden zu "Ratsbeauftragten", zu Delegierten der verschiedenen Räte.

Pastoren, Lehrer, Älteste, Diakone in der Genfer Kirchenordnung 1561

Zu den "vier Aufgabenbereichen oder Arten von Ämtern, die unser Herr zur Leitung seiner Kirche geschaffen hat", legt die Genfer Kirchenordnung im Einzelnen fest:

Die Aufgabe der Pastoren ist es, "sowohl in der Öffentlichkeit wie gegenüber Einzelnen das Wort Gottes zu verkünden: zu lehren, zu ermahnen, zurechtzuweisen und zu tadeln. Sie sollen aber auch die Sakramente verwalten und zusammen mit den Ältesten oder Ratsbeauftragten die brüderlichen Zurechtweisungen vornehmen." Außerdem gehört es zu ihrer Aufgabe, die Kranken zu besuchen.

Die Aufgabe der Doktoren (Lehrer) ist es, "die Gläubigen in der heilsamen Lehre zu unterweisen, damit die Reinheit des Evangeliums weder durch Unkenntnis noch durch Irrlehren getrübt wird." Als besonderer Dienst wird dabei die "Förderung des Nachwuchses" genannt.
Die Aufgabe der Ältesten besteht darin, "auf die Lebensführung eines jeden zu achten, und diejenigen freundschaftlich zu ermahnen, die sie Fehltritte tun oder in unordentlichen Verhältnissen leben sehen."

Zur Aufgabe der Diakone wird auf die "zwei Arten von Diakonen" in der Alten Kirche hingewiesen: Die einen waren für Verteilung und Verwaltung des "Armengutes" zuständig, die anderen waren damit beauftragt, Kranke zu pflegen. Nach diesem Vorbild gab es in Genf "Fürsorger und Verantwortliche für die Spitäler".

Die "Kirchenzucht"- Zu Unrecht berühmt berüchtigt

Berühmt berüchtigt geworden ist die von Calvin in Genf eingeführte "Kirchenzucht". In der Genfer Kirchenordnung ist die Disziplinierung einzelner Gemeindeglieder, die zum Ausschluss vom Abendmahl führen konnte, ausdrücklich im Sinne einer "freundschaftlichen" Ermahnung vorgesehen. "Verborgenes Fehlverhalten" soll auch nur "im Verborgenen" getadelt werden. Jemanden öffentlich eines Fehltrittes zu bezichtigen, soll vermieden werden.

Mittlerweile ist in den vor einigen Jahren veröffentlichten Protokollen nachzulesen, dass die Kirchenzucht "nur im seltenen Extremfall" ein Mittel der Disziplinierung war: "Im Normalfall ging es dagegen um Seelsorge, um Streit- und Konfliktschlichtung durch die Kirchenältesten in verfahrenen Situationen" (Michael Weinrich).

Der historische Hintergrund der "Kirchenzucht"

Im Zuge der Reformation übernahm in der Regel die politische Obrigkeit "die Sorge für das (selbstverständlich nach damaligen christlichen Maßstäben gestaltete) bürgerliche Zusammenleben, und in gewissem Sinn gar für die Einhaltung der ersten Tafel des Dekalogs" (Peter Opitz). So wurden z.B. Ehegerichte geschaffen zur Hebung der individuellen Sittlichkeit.

Vor diesem Hintergrund war das Besondere an der von Calvin vorgesehenen "Kirchenzucht", dass ein rein kirchliches Gremium für das geordnete Zusammenleben der christlichen Gemeinde zuständig sein sollte. Damit beabsichtigte Calvin eine "Entflechtung" von Kirche und Staat. Die Kirche sollte dem Wort Gottes entsprechend gestaltet werden, nicht durch staatliche Obrigkeit. Im Kompetenzgerangel zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft ließ sich diese Idealvorstellung in Genf jedoch nicht durchsetzen.

Das Weib schweige in der Gemeinde? – Das sei ferne!

Im Kampf um den wahren Glauben während der Reformation war auch das Zeugnis der Frauen nötig. Darüber schreibt Calvin in einem Brief vom 16. September 1557 einer Gruppe von Frauen, die auf Grund ihres Bekenntnisses zum evangelischen Glauben in Paris gefangen genommenen waren: "Da es nun aber Gott gefallen hat, Euch zu berufen so gut wie die Männer (denn vor ihm gilt nicht Mann noch Weib), so müsst ihr auch Eure Pflicht tun und ihn verherrlichen nach dem Maß der Gnade, die er Euch gegeben, so gut wie die größten Helden, die er mit hoher Weisheit und Stärke ausgerüstet hat."

Unter Hinweis auf Joel 3,1 schreibt Calvin, Gott hat "seinen Geist ausgegossen und lässt weissagen Söhne und Töchter (...) als ein Zeichen, dass er seine Gnade gleichmäßig austeilt und weder Söhne noch Töchter, weder Männer noch Frauen ohne die Gaben lässt, die nötig sind, um seine Ehre zu wahren."

Als Trost und Stärkung erinnert Calvin die Gefangenen an das Zeugnis von Frauen zur Zeit Jesu: "Betrachtet doch die Stärke und Festigkeit der Frauen beim Tode unseres Herrn Jesu Christi; die Apostel hatten ihn verlassen, sie blieben bei ihm in wunderbarer Standhaftigkeit, und eine Frau wurde die Botin, die den Aposteln die Auferstehung verkündigte, und sie konnten ihr nicht glauben und sie nicht verstehen. Wenn Gott die Frauen damals so zu Ehren gezogen und ausgerüstet hat mit Kraft: glaubt Ihr, er habe jetzt weniger Macht oder er habe seinen Willen geändert?"

 

Literatur:

Die Genfer Kirchenordnung von 1561 ist auf Französisch und Deutsch abgedruckt in: Calvin-Studienausgabe. Band 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1997, 238-279

Christian Link, Vorwort zu: Calvin-Studienausgabe. Band 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1997, V-VII

Peter Opitz, Die Ordonnances ecclésiastiques (1541) 1561, in: Calvin-Studienausgabe. Band 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1997, 227-235

 

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