Liebe das Leben, schütze die Schöpfung

Predigt zum Sonntag Rogate, aus der Preditgreihe 'Liebe'


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Von Stephan Schaar

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.

“Sag mir, wo die Blumen sind!”, liebe Gemeinde! Nun, in der Gartenstadt sieht man sie jetzt im Frühjahr überall. Eifriger als meine Frau und ich pflegen unsere Nachbarn das Grün vor ihrem Haus; auch wir profitieren davon und erfreuen uns an bunten Blüten und blumigen Düften.

Beim Sonnenbaden auf dem Rasen oder dem Grillen auf der Terrasse sind die Leute auch darüber erfreut, dass es längst nicht mehr so viele lästige Insekten gibt wie früher, als man - erinnern Sie sich? - nach einer längeren Autofahrt die Windschutzscheibe und Scheinwerfer von toten Mücken und Fliegen freikratzen musste.

Freilich: Dass es kaum noch Schmetterlinge zu bestaunen gibt, gehört zu den bedauerlichen  Begleitumständen dieser Entwicklung, und schon vor Jahrzehnten sang Reinhard Mey: “Es gibt keine Maikäfer mehr.” Auch wer nicht dem Aufruf des NABU folgt und Insekten zählt, merkt, dass sich mit dem Klima auch Fauna und Flora verändert haben, weniger und andere Lebewesen geworden sind.

Unser Thema heute im Rahmen der Predigtreihe zur Liebe lautet: “Liebe das Leben, schütze die Schöpfung!” Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, und es wirkt geradezu befremdlich, dass man dazu meint aufrufen zu müssen - umso mehr, wenn in unserer Mitte ein Kleinkind durch die Taufe in den Bund mit Gott hineingenommen wird.

So wie man sein eigenes Kind und Enkelkind liebt, aber auch in fremden Kindern das Lebendige, Lebensbejahende erkennt und sich darüber freut, so ergeht es uns doch ebenso beim Anblick eines Vogelkükens im Nest, einer gerade aufspringenden Knospe: Das Leben entfaltet sich, Gottes gute Gabe, und streckt sich der Sonne entgegen, dürstet nach Wasser und Wärme, sehnt sich nach Liebe und Segen. Kann man sich dem verweigern?

Wer nicht gänzlich taub und stumpf geworden ist für alles, was lebt und sich regt, der kann doch eigentlich  gar nicht anders, als das Leben liebzuhaben - oder irre ich mich? Vielleicht müssen wir jene verblendeten Menschen ausnehmen, die, im Hamsterrad gefangen, nur noch auf Zahlen schauen, das alleinige Ziel vor Augen, reich zu werden, sich alles leisten - also kaufen - zu können.

Wenn wir ehrlich sind, wird auch unsere Sehnsucht nach einem Hauch von Paradies in bare Münze verwandelt: Man kann Fernreisen buchen, die uns an “Traumstrände” führen, wo man im smaragdgrünen Meer abtauchen und all die Probleme vergessen kann, die wir schon allein dadurch Tag für Tag verschlimmern, dass viele von uns den “Kaffee to go” nicht einmal im mitgebrachten wiederverwendbaren Becher genießen, sondern alles wegwerfen, was gerade nicht mehr gebraucht wird.

Deswegen gibt es inzwischen keine kostenlosen Plastiktüten mehr. Frage: Kann man darum mittlerweile nicht mehr einkaufen gehen? - Antwort: Nein, man muss nur entweder ein wenig planen und einen Beutel mitbringen oder ein wenig Geld ausgeben, um eine Tragetasche zu erwerben. Mir fällt auf, dass auch unter jungen Leuten, von denen viele lautstark gegen unsere Selbstausrottung protestieren und eine “letzte Generation” proklamieren, dass ausgerechnet jene Menschen, um deren ureigene Zukunft es am allermeisten geht, die Umwelt mit Füßen treten, indem sie ständig das neueste Smartphone besitzen wollen und kein Problem damit zu haben scheinen, bei einem Schnellrestaurant Lebensmittel in Styroporverpackung serviert zu bekommen.

In unserem Gesprächskreis, der diesmal nur ein Dialog war und so auf die Dauer nicht weiterexistieren kann, haben wir Ü-50er bilanziert, wo unser Schwachpunkt ist, und räumen ein, dass es uns beiden schwer fällt, auf Reisen, auch Flugreisen, zu verzichten. Das heißt aber nicht, dass wir der Schönheit der Natur in unserer Region nichts abgewinnen können - ganz im Gegenteil: Ich hatte in der vergangenen Woche bei ausgezeichnetem Wetter die wunderbare Gelegenheit, mit meiner Frau auf dem Beetzsee in Brandenburg zu rudern, und in dieser Woche werden wir, in etwas anderer Konstellation, zu einer Wanderfahrt von Köpenick bis zum Scharmützelsee aufbrechen. Das ist eine Art der Fortbewegung, die keinen ökologischen Fußabdruck hinterlässt, das ist wahrhaft nachhaltiges Reisen!

Andere wandern oder radeln oder paddeln. Man muss nicht erst weg von hier, um es schön zu haben - und wenn man doch Fernweh hat, mal wieder die Wellen rauschen hören möchte, kann man sich auch in den (zugegeben: oftmals überfüllten) Zug setzen und an die Küste fahren.
Aber Zeit braucht man für gemächlicheres Reisen. Wer nur mal schnell zum Ballermann jettet, dem geht es vermutlich weder um einen Tapetenwechsel noch um Erholung, sondern um Party - sprich: Alkoholkonsum bis zum Abwinken mit diversen Begleiterscheinungen.
Ist das eine Lebensweise, die Sie als “das Leben genießen” bezeichnen würden? Selbst wenn, brauchte man dazu kein Flugzeug, keinen Strand, noch nicht einmal Sonne.

Ich habe unsere Gedanken am Montag nur in Stichworten festgehalten, etwa: “Mehr Bodenhaftung!” Notiert habe ich auch einen fälligen Sinneswandel, den man mit den Worten “Weniger Gier, mehr Freude und Dankbarkeit” überschreiben könnte. Ich werte die Entscheidung etlicher junger Familien für eine berufliche Auszeit so, dass ihnen bewusst ist: “Genau jetzt ist die Zeit, ist eine unwiederholbare Gelegenheit, das Heranwachsen meines Kindes mitzuerleben und mitzugestalten.”

Das haben mein ältester Sohn und meine Schwiegertochter so gemacht, und das haben auch unser Entsendungspfarrer, Alexander Benatar, und seine Frau für sich entschieden: Die Liebe zum Leben - im konkreten Fall: zu ihrem neugeborenen Baby - ist momentan wichtiger als der nächste Schritt auf der Karriereleiter und wiegt auch manches Minus auf, das auf der Konsumseite vorübergehend entsteht; denn dieser Schritt geht mit Einkommenseinbußen einher.

“Weniger ist mehr” lautet ohnehin eine Art Zauberspruch, wenn es um bewussten Konsum und die Sorge für eine lebensfähige Welt von morgen geht: Weniger Fleisch, und wenn, dann aus nachhaltiger und tierwohlorientierter Haltung, und auch weniger Müll. Das sind zweifellos gute Vorsätze, jedoch gilt wieder einmal: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.” Und dann bitte ich auch zu bedenken, was einmal auf einem Plakat von “Brot für die Welt” zu sehen und zu lesen war. Da sah man eine Schale Reis und las die Worte: “Weniger ist leer.”

Wovon wir weniger benötigen, um dennoch genug zu haben, das müssen wir für uns herausfinden, und wir sollten denen, die weniger Entscheidungsspielraum haben, weil sie über ein geringeres Einkommen verfügen, nicht jeden Spaß verderben und nicht jede kleine Unvernunft verbieten - die erlauben wir uns ja schließlich auch, wenn auch oftmals mit schlechtem Gewissen.

Ich empfehle die Mai-Ausgabe des christlichen Magazins “Chrismon”, in dem sehr unterschiedliche Statements zu der Frage “Was brauchst du?” nachzulesen sind, von denen mich einige sehr angerührt haben. Eines möchte ich zitieren: “Mit 24 Jahren war ich zur Abteilungsleiterin aufgestiegen - und merkte, dass ich etwas anderes vom Leben wollte. Ich trat in eine Ordensgemeinschaft ein und lebte 15 Jahre lang ohne persönlichen Besitz, den ich auch nicht vermisste. Dass ich den Orden doch wieder verließ, lag nicht am Armutsgelübde, sondern daran, dass ich mich verliebte. Und Liebe ist wirklich genug: Wir sind seit über 30 Jahren ein Paar.”

Ich hätte gern noch einen anderen Text zitiert, doch konnte ich das Buch “Der Papalagi” nirgends finden. Deswegen versuche ich jene Geschichte, auf die es mir ankommt, aus dem Gedächtnis zu erzählen: Ein Europäer sieht den Südseeinsulaner in der Sonne liegen und fragt, was er da tue. “Ich mache eine Mittagspause”, erwidert der Ureinwohner und erläutert, dass ihn das Fischen müde gemacht habe. “Aber du könntest noch einmal hinausfahren”, mahnt der Weiße, “und mehr Fische fangen.” Der Farbige ist skeptisch: “Wozu soll ich mich derart quälen?”, will er wissen. Die Antwort lautet: “Wenn du genug Fische gefangen hast, kannst du ein zweites Boot kaufen, und wenn mit dem zweiten Boot viel Ertrag gemacht wurde, ein drittes - und so weiter.” “Aber wozu all das?”, entgegnet der Fischer.

Der ausländische Besucher lächelt: “Dann kannst du den ganzen Tag in der Sonne liegen, während andere Leute für dich arbeiten”, versucht er den Fischer zu überzeugen. Der aber lacht und ruft: “Das mache ich doch jetzt schon: Ich liege in der Sonne und genieße das Leben.” So soll es sein!


Stephan Schaar