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Der Heilige der Hugenotten
Zum 500. Geburtstag von Gaspard de Coligny, von Jürgen Kaiser
Dass dieses Jubiläum in Deutschland fast unbeachtet bleibt, muss man nicht beklagen. Man darf es schon gar nicht als Indiz dafür werten, dass die Geschichte der Hugenotten allmählich in Vergessenheit gerät. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Bemühungen, die kleine Ausstellung des Hugenottenmuseums im Französischen Dom auf dem Berliner Gendarmenmarkt neu zu gestalten, stoßen überall auf großes Interesse. Dort wird auch Gaspard de Coligny mit einem kuriosen Ausstellungsobjekt vertreten sein. Vor einigen Jahrzehnten wurde ein buntes Glasfenster hergestellt, auf dem er als stattlicher Ritter abgebildet ist.
Nun fragen wir uns, zu welchem Thema der Ausstellung dieses Objekt passt. Wir haben eine Antwort gefunden: Nicht dort, wo es um die Unterdrückung der Hugenotten in Frankreich und um die Bartholomäusnacht geht, sondern weiter hinten, wo es um die Nachwirkungen und das Gedenken, also um die Historiographie geht. Und das mit gutem Grund. Denn weit interessanter als das, was der militärische Führer der Hugenotten zu seinen Lebzeiten zustande gebracht hat, ist das, was man sich später über ihn erzählte.
Über Coligny scheint weit weniger bekannt zu sein als der Klang seines Namens vermuten lässt. Für eine intensive Recherche zu diesem Artikel blieb keine Zeit. Was aus den mir zur Verfügung stehenden Quellen und dem Internet zu erfahren ist, kann nur auf ein nüchternes Fazit hinauslaufen: Den Namen Gaspard de Coligny würden heute nicht einmal mehr die Hugenotten kennen, wenn er nicht das zweifelhafte Glück gehabt hätte, am richtigen Ort zur richtigen Zeit ermordet worden zu sein.
Gaspard de Coligny, ein Mann aus dem französischen Hochadel, der Offizier wird, eine glänzende militärische Karriere hinlegt und 1552 zum Admiral de France ernannt wird. Selbst dass er sich spätestens seit 1557 mit reformierter Theologie beschäftigt und 1560 offiziell zum Protestantismus konvertiert, ist keine Besonderheit, denn die Reformation fand in Frankreich vor allem beim Adel Anhänger. In den Hugenottenkriegen von 1562/63 und 1567-70 war er militärischer und politischer Chef der Hugenotten. Nach einigen Niederlagen konnte er 1570 durch den Sieg im Frieden von Saint Germain für die Hugenotten günstige Bedingungen aushandeln und gewann beim König an Einfluss, den er aber - wie es scheint - nicht so recht zu nutzen wusste. Als er im August 1572 zur Hochzeit von Heinrich von Navarra und Margarete von Valois nach Paris kam, wurde auf ihn geschossen. Er überlebte dieses Attentat verletzt, wurde aber zwei Tage später zum Auftakt der Bartholomäusnacht ermordet. Interessanter als sein Leben ist sein Nachleben.
So wenig es aus seinem Leben Mitteilenswertes zu berichten gibt, es sei denn, man interessierte sich für militärische Details, so bunt ist die Überlieferung in Bezug auf sein Martyrium. Théodore d’Aubigné (1552-1630) sammelte in seiner Histoire universelle Colignys letzte Worte: Als die Mörder ins Haus eindrangen, sprach er zu seinen Getreuen: „Meine Freunde, ich habe keine menschliche Hilfe mehr zu erwarten. Das ist mein Tod, den ich gern aus Gottes Hand nehme. Rettet euch!“ Seinem Mörder sagte er ins Gesicht: „Junger Mann, respektiere mein Alter!“ Doch der junge Mann zeigte wenig Respekt und stach zu. Seinen Leichnam warf man durchs Fenster, nach einer anderen Quelle wurde er danach ausgeweidet, entmannt und enthauptet, und dann in die Seine geworfen.
Alle Berichte stimmen immerhin darin überein, dass es zwei Tage vor seiner Ermordung schon ein Attentat auf ihn gab. Auf dem Rückweg vom Louvre wurde auf ihn geschossen. Da Coligny sich gerade bückte, seinen Schuh zu binden oder einen Brief zu öffnen oder auf die Straße zu spucken (die Überlieferungen sind sich in diesem Punkt nicht einig), wurde er nur am linken Arm und am rechten Zeigefinger verletzt.
Eine detaillierte und sichtlich sehr legendarische Schilderung von Colignys Martyrium hat Karl Manoury im ersten Band seiner Geschichte der Hugenotten-Kirche wiedergegeben. Manoury war Prediger der Französischen Kirche und passionierter Hugenottenkrieger. Mit zum originellsten Erbe unseres Museums gehören Manourys Legionen von Zinnsoldaten. Aus Colignys Leben weiß Manoury kaum Bedeutendes zu berichten. Aber bei einem großen Mann ist selbst das Unbedeutende bedeutend: „Coligny trug immer einen Zahnstocher bei sich, entweder kaute er daran oder hatte ihn hinter dem Ohr stecken. Beim Grübeln stocherte er damit in den Zähnen.“ (26)
Manoury übersetzte viele Seiten des Berichts eines unbekannten aber sicher protestantischen Verfassers über die Bartholomäusnacht. Während der Chirurg des Königs Colignys Zeigefinger amputierte, der durch den Schuss beim ersten Attentat zerfetzt wurde, predigte der seinen Freunden mit folgenden Trostworten: „Dies sind die Segnungen Gottes, meine Freunde, ich bin sicher sehr verwundet, aber ich erkenne, dass dies mit dem Willen des Herrn unseres Gottes geschehen ist, und ich danke seiner Majestät dafür, dass er mich gewürdigt hat, mich so zu ehren, dass ich für seinen heiligen Namen leide.“ Sehr schön ist auch eine andere Überlieferung, die ihn unmittelbar vor seiner Ermordung stark verwundet aber seelenruhig lesend wusste. Er soll jedoch nicht die Bibel, sondern Calvin studiert haben und zwar - mit viel Bedacht seines Schicksals - den Kommentar zu Hiob.
Einen Menschen, über dessen Sterben es solche und viele ähnliche Berichte gibt, haufenweise letzte große Worte, Zeugnisse übermenschlicher Frömmigkeit, die sich Gott selbst für die größten Schmerzen dankbar zeigt, über dessen Leben aber nicht viel anderes zu finden ist als über das Leben jedes Hochadeligen seiner Zeit, einen solchen Menschen darf man mit Fug und Recht einen Heiligen nennen. Offensichtlich hat ihm seine Konversion nichts gebracht, denn die Hugenotten haben aus ihm das gleiche gemacht wie die Katholiken aus den alten Märtyrern.
Er bekam Legenden über seinen Tod, er bekam Denkmäler und Statuen und in Berlin von einem Pfarrer sogar wieder seine Truppen, zwar aus Zinn aber mit Liebe, obendrein einen Kirchsaal und ein buntes Glasfenster, das allerdings nicht in dem nach ihm benannten Kirchsaal in Berlin-Halensee hängen darf, weil Hugenotten nichts mehr verabscheuen als Heiligenbilder. Also musste das Glasbild des wackeren Coligny ins Museum. Dort wird es nun den ihm gebührenden Platz erhalten: nicht zur Illustration der historischen Ereignisse, denn dazu taugt das alles wenig, sondern zur Illustration illustrer Nachwirkungen, die manches historische Ereignis - darunter auch manch wirklich traurige - in den Schatten zu stellen droht. Zusammen mit Coligny wurden etwa 3000 Menschen ermordet. Das Gedenken an Gaspard de Coligny erfüllt nur dann seinen Sinn, wenn auch diese Tausende Namenloser nicht vergessen werden.
Jürgen Kaiser