Rossmanns schöne neue Welt

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim

Zu Weihnachten befand sich auf dem Gabentisch der neu-erschienene Öko-Thriller von Dirk Rossmann. Ich las ihn und war entsetzt. Ein Frontalangriff auf die Demokratie wird als Plädoyer gegen Umweltzerstörung propagiert. Schafft sich angesichts von Klimawandel und Pandemie die Demokratie selber ab?

Der Großunternehmer Dirk Rossmann, der im In- und Ausland tausende von Drogeriemärkten besitzt, wird als erfolgreicher Geschäftsmann geschätzt und gerne nach seiner Meinung gefragt. Er setzt sich vehement für den Klimaschutz ein, und mit dem Roman „Der neunte Arm des Oktopus“ ist er zum Autor eines Bestsellers geworden. Das klingt alles ganz honorig, bis man sich an die Lektüre seines Werkes macht. Der sympathische Wladimir Putin mit seinem Kumpel Gerhard Schröder sind anfangs noch ganz amüsant. Zum Zeitpunkt des Erscheinens war auch die Vorstellung einer US-Präsidentin Kamala Harris angesichts des unsicheren Wahlausgangs in den USA noch ganz unterhaltsam, aber Seite für Seite nimmt das Horrorszenario einer Selbstabschaffung der Demokratie immer mehr Gestalt an.

Weil die Rettung des Klimas alle Mittel heiligt, schmieden die Staatsoberhäupter von China, Russland und den USA eine geheime Allianz, die nicht nur die UNO auf Weltebene aushebelt, sondern auch in ihren eigenen Ländern und in allen Ländern der Welt Parlamente und Gerichte entmachtet. Die Ökodiktatoren retten die Welt vor der Klimakatastrophe, indem sie Brasilien militärisch in die Knie zwingen, um es an der Zerstörung des Regenwaldes zu hindern. Klimaschutz um jeden Preis ist das Motto. Der Überbevölkerung wird der Kampf angesagt und unverhohlen Chinas Ein-Kind-Politik „zur Blaupause“ für Nigeria, Ägypten und Äthiopien erklärt. Kurz zusammengefasst heißt es: „Die Politiker haben verstanden, aber Millionen von Menschen wollen nicht verstehen“1

Es lässt mich erschaudern, dass die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für Rossmann kaum eine Rolle spielen, wenn es um den Klimawandel geht. Und wie soll ich mir erklären, dass der Sturm der Empörung über Rossmanns Pamphlet ausgeblieben ist? Gibt es in Deutschland eine Mehrheit, die um der Klimaziele willen, bereit ist alle demokratischen Prinzipien zu opfern?

Angesichts der Umfragen frage ich mich, ob nicht auch im Laufe der Coronavirus-Pandemie das Gespür für demokratische Grundprinzipien verlorengegangen ist. Verordnungen der Landesregierungen erfolgen monatelang ohne Beteiligung der Parlamente. Landauf landab müssen Gerichte Lockdown-Maßnahmen aufheben, weil sie unverhältnismäßig sind. Journalisten, die solche Gerichtsurteile kritisieren, scheinen vergessen zu haben, was Gewaltenteilung in einer Demokratie bedeutet und rufen immer lauter nach „hartem Durchgreifen“. Vielleicht sind wir von Rossmanns „schöner neuen Welt“ gar nicht so weit entfernt?

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1 Dirk Rossmann, der neunte Arm des Oktopus, Köln, 2020, S. 178f.

Paul Oppenheim