Der Fridays-For-Future-Bewegung treibt es die Tränen in die Augen. Täglich Wissenschaftler*innen zur besten Sendezeit im Fernsehen: Nachrichten, Sondersendungen, Talkshows. Nur leider nicht zum Klima-Thema. Corona hat der Erderwärmung den Rang abgelaufen. Und vorübergehend schien es so, als könnten wissenschaftliche Erkenntnisse direkten Einfluss auf die Politik nehmen. Zwischendurch war sogar schon von einer „Diktatur der Experten“ (Zitat definitiv ohne Gendersternchen) die Rede.
Praktisch von Beginn der Pandemie an, haben sich die Medien um Expert*innen bemüht, weil ja praktisch niemand irgendetwas wusste. Außer den wenigen, die an dem Thema schon länger und im Verborgenen gearbeitet hatten. Die fanden sich nun plötzlich im Rampenlicht wieder.
Nicht alle konnten mit dem unerwarteten Interesse gut umgehen. Einige entdeckten ihre bis dahin unangerührte Eitelkeit und gefielen sich darin, steile Thesen aufzustellen. Andere übersetzten die wissenschaftlichen Erkenntnisse in verständliche Sprache und brachten unaufgeregt die Ergebnisse von Laboren und Modellierungen unter die Leute.
Nach einem Jahr Pandemie und vielen Abenden Medienkonsum kennen wir gefühlt alle Koryphäen der Virologie, der Epidemiologie und der Impfforschung, die Chef*innen der Institute und alle sonstigen Gesundheitsexpert*innen.
Sie genießen einerseits großen Respekt und werden anderseits für jede schlechte Nachricht angefeindet und sogar mit dem Tod bedroht. Und in diesen Wochen gilt ihre Meinung auch nicht mehr viel, seit der Wahlkampf auch den Umgang mit der Pandemie bestimmt. Politiker*innen, die wiedergewählt werden wollen, neigen dazu, auf die 80 Millionen Expert*innen zu hören oder – schlimmer noch – auf die wenigen Tausend, die am lautesten schreien.
Und so werden die Wissenschaftler*innen zunehmend unleidlich, wenn sie auf die Politik angesprochen werden. Denn es passiert ihnen jetzt dasselbe wie den Klimaforscher*innen: ihr Wissen stört. Hoffentlich erheben sie weiter ihre Stimmen! Nicht um Politik zu machen, sondern uns mit dem Wissen vertraut zu machen, das für Entscheidungen wichtig ist – auch bei der Wahl im September.
Georg Rieger