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German Dream
Mittwochskolumne von Paul Oppenheim
Mit der Realität hat der amerikanische Traum wenig zu tun. Soziale Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft so weit auseinander wie in kaum einem anderen Land. Die Coronakrise hat es ans Licht gebracht: Millionen Menschen wurden über Nacht arbeitslos und wären ohne Lebensmittelspenden verhungert. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat es in Erinnerung gerufen: Abkömmlinge afrikanischer Sklaven sind bis heute Opfer von Rassismus in nahezu allen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft.
Trotzdem ist der Traum unausrottbar. Immer wieder wird in Wahlkämpfen das Bild vom Land der unendlichen Möglichkeiten beschworen. Zuletzt tat es Joe Biden mit den Worten: „Ich habe immer geglaubt, dass […] in Amerika jeder, und ich meine jeder, die Möglichkeit haben sollte, so weit zu gehen, wie es seine Träume und gottgegebenen Fähigkeiten zulassen.“1
Wie sieht es aber mit dem „Deutschen Traum“ aus? Womit identifizieren sich hierzulande Wählerinnen und Wähler? Vieles spricht dafür, dass sie nicht als die Abgehängten, als die Verlierer, als die Benachteiligten angesprochen werden wollen. Für das Versprechen sozialer Gerechtigkeit auf niedrigem Niveau sind sie weniger empfänglich als für die Aussicht auf echten Wohlstand und Erfolg. Der „German Dream“ ist wahrscheinlich nicht viel anders als der amerikanische. Individuelle Freiheit kommt hierzulande nicht durch das Recht zum Waffentragen zum Ausdruck, eher durch das Autofahren ohne Tempolimit. Der Traum, „vom Tellerwäscher zum Millionär“ aufzusteigen, ist aber genauso weit verbreitet wie in Amerika, auch wenn dafür die Chancen nicht größer sind als sechs Richtige im Lotto.
Was bedeutet das für den Wahlerfolg politischer Parteien? Wohltaten für „Looser“ sind unbeliebt, aber jeder und jede träumt davon, auf der Gewinnerseite zu stehen.
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1 Rede von Joe Biden bei seiner Nominierung als Kandidat der Demokratischen Partei in Wilmington, Delaware am 19.8.2020
Paul Oppenheim