Keine magische Demokratie

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


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Abertausende von Menschen versammeln sich auf Straßen und Plätzen. „Für Demokratie“ heißt ihre Losung und „gegen Rechtsextremismus“. Es sei „ein Ruck durchs Land gegangen“ sagen manche. Politologen, Soziologen und Journalisten wundern sich und fragen, was sich daraus entwickeln wird.

Viele Bürgerinnen und Bürger gehen zum ersten Mal demonstrieren, andere sind schon geübter. Ihre Botschaft lautet: „Wir sind die Mehrheit“. Ihr Protest richtet sich gegen eine Minderheit, von der sie unser Land bedroht sehen. Welche Erwartungen werden mit dem Gang auf die Straße verknüpft? Können und sollen lautstarke Proteste in einer parlamentarischen Demokratie etwas bewirken?

Ungeduld treibt Menschen auf die Straßen und Plätze, Ungeduld mit den schwerfälligen Entscheidungsprozessen, mit der mühsamen Suche nach Kompromissen, Ungeduld mit politischen Parteien, Ungeduld mit Politikern, Ungeduld mit dem, was wesentlich zur parlamentarischen Demokratie hinzugehört.

Es wäre schön, wenn sich bessere Zustände einfach herbeizaubern ließen, wenn es eine Zauberformel für Gerechtigkeit und Frieden gäbe, wenn der Kanzler nur mit einem Zauberstab wedeln müsste, um das böse CO2 oder den Rassismus aus den Köpfen und Herzen zu vertreiben. Es gibt eine Sehnsucht nach magischer Demokratie, die es aber nicht gibt.

Eine immer wiederkehrende Botschaft lautet: „Nie wieder ist jetzt“. Deutschland ringt mit den dunklen Schatten seiner Vergangenheit. Die Erinnerung an das Versagen der Vorfahren wird geweckt. Plakate rufen auf zum Widerstand gegen Faschismus, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Erinnerungen an das Ende der Weimarer Republik werden beschworen.

Damals wurde Demokratie verächtlich gemacht, Meinungsvielfalt galt als Schwäche, der demokratische Diskurs wurde als Parteiengezänk abgetan. Vor solchen Vorstellungen muss gewarnt werden und Politiker tun gut daran, für eine Demokratie einzustehen, die nicht ohne endlose Sitzungen, quälende Entscheidungsprozesse und vor allem nicht ohne eine starke Wahlbeteiligung auskommt. Daraus erwachsen vielleicht keine märchenhaften Zustände, aber besser als Einparteiendiktatur und Führerprinzip ist unsere parlamentarische Demokratie allemal.


Paul Oppenheim