16.9.2016
Heute früh musste mein Praktikant mit mir erst mal nach Regba radeln eine ha'aretz Wochenendausgabe besorgen – denn bekanntlich ist ja ein Wochenende ohne ha'aretz Wochenendausgabe in Israel kein richtiges Wochenende. Gesagt – getan: Es fand sich unter den Nes Ammim-Gurkenrädern sogar eins mit ausreichend Luft in den Reifen und funktionierenden Bremsen. Die Zeitung hatten wir bald; dann gingen wir in den Telefonshop, um ihn (Robin) ans israelische Telefonnetz und ins Internet zu bringen. Das, was uns die junge Dame im Shop erzählte, klang alles äußerst kompliziert, so dass ich sie fragte, ob man nicht einfach so eine prepaid-Geschichte erstehen könnte. lo kann [nicht hier], war die Antwort. Wo denn dann? bestimatzky.
Also „mussten“ wir mal wieder nach Naharija radeln. Bei Steimatzky in Naharija freute die Fachverkäuferin meines Vertrauens sich zwar sehr, mich schon so bald wiederzusehen, fiel aber bei der Frage nach einer israelischen Sim-Karte aus allen Wolken. Mein Hinweis auf den Steimatzky im Flughafen, bei dem Katja immer ihre Sim-Karten aufladen lässt, machte sie etwas ratlos: ha steimatzky bisde hateufa sä maschehu mejuchad [der Steimatzky im Flughafen ist etwa Besonderes]...
Aber sie konnte mir genau beschreiben, wo der Laden ist, wo man ja israelische Sim-Karten bekommen kann. Und so war es auch: Ein gutaussehnder junger Mann, der vor wenigen Jahren aus Belgien eingewandert ist, versorgte Robin mit allem, was er brauchte – wobei er gleichzeitig noch drei andere Kunden bediente. Das war schon virtuos...
Nach einem Zwischenstop beim besten Falafelladen nördlich von Haifa dann zurück mit Zwischenstops bei meinem Lieblingsstrandcafe in Shavei Zion (darüber gibt's dieser Tage noch mal eine ausführliche Fotoreportage...) und beim besten Fahrradladen der Levante, wo ich verabredete, wann die frisch eingetroffenen „Flügel“ montiert werden können, sowie bei Feisal, dem Super-Supermarkt in Masra'a, waren wir zum Mittagessen rechtzeitig zu Hause.
Nachmittags konnte mein Praktikant sich dann nützlich machen, indem er mir die Gottesdienstliturgie abtippte, die auf dem PC meines lieben Vorgängers und Vorbildes Rainer leider so abgelegt ist, dass ich ohne Administratorenrechte nicht drankomme.
Danach ging es zur kabbalat shabbat in die Reformsynagoge von Naharija. Und das war wirklich herzergreifend: Mit mütterlicher Fürsorge führte uns eine Dame ungefähr in meinem Alter am Pult durch die Liturgie, die für Auswärtige in einer Fassung mit Übersetzung und Umschrift zur Verfügung gestellt wird, in der es im Vorwort ausdrücklich heißt: „This book is different than the regular one in use in that there are no pages or passages to skip, no turning to another page or looking for where we are“, was einen sonst in der Tat immer völlig ratlos mit dem siddur im Gottesdienst sitzen lässt, wenn nicht jemand neben einem sitzt, der fortlaufend zeigt, wo wir gerade sind. Die Melodien bewegen sich zwar gelegentlich an der Grenze zum Schmalz – nur diese Lieder würden mir auf die Länge sicher nicht ausreichen: ich brauche schon meine reformierten Psalmen und meinen Paul Gerhardt –, aber vorgetragen von einem talentierten jugendlichen Sänger in Begleitung eines routinierten E-Orgel-Spielers sang die Gemeinde und sang auch ich sehr gerne mit. Es gab eine kluge kleine Auslegung der Wochenparascha „ki tetze“ mit Konzentration auf die Gebote zur humanitären Kriegsführung. Im „Abkündigungteil“ wurden wir herzlich begrüßt und ich speziell so vorgestellt: „jesh lanu Rainer chadash – we have a new Rainer“! Gegen Ende kommt die Gemeindejugend rein und führt von vorne den Gesang „adon olam“ [Herr der Welt] an – und ganz zum Schluss stehen alle in einem großen Kreis um den Synagogenraum, fassen sich an den Händen und singen „hine ma tov u-ma na'im shevet achim gam jachad“ [Siehe da, wie gut und angenehm, wenn Freunde zusammensitzen]. Und danach stürmten sie auf mich ein und freuten sich auf unsere Begenungen und dass wir uns ganz oft sehen werden undundund. Das ist mal eine „einladende Gemeinde“!
Tobias Kriener, Nes Ammim, September 2016