''Zwischen Bekenntnisformel und Arkandisziplin''
Neue Ansätze in der Trinitätslehre
Überarbeitete Fassung einiger Diskussionsthesen zum Werkstattgespräch in der Pfarrkonferenz Kirchhain, entworfen von Pfr. Dr. Manuel Goldmann[1]
1. Die klassische Trinitätslehre ist weithin das Ergebnis einer Übersetzung der biblischen Botschaft in den Denkrahmen griechischer Metaphysik - vollzogen durch und für eine mittlerweile rein heidenchristlich gewordene Kirche. Dieser Denkrahmen hat die kirchliche Tradition früh und grundlegend geprägt; wir haben die Resultate zu achten, wie wir unsere Lehrer und geistlichen Vorfahren achten. Sie können aber nicht zeitloser, alleiniger Maßstab unserer Rede vom Gott der Bibel sein; unter anderen Denkvoraussetzungen als denen griechischer Metaphysik dürfen und müssen vielmehr andere Übersetzungsversuche unternommen werden. Sonst wäre die Tradition über die Heilige Schrift gestellt.
2. Die gegenwärtigen Denkvoraussetzungen sind weithin andere. Das begrifflich arbeitende „Griechische Denken“ (mit seinem reflektierenden Interesse am unwandelbaren „Wesen“ der Dinge) hat an Selbstverständlichkeit verloren – zugunsten einer Denkweise, die erzählend vorgeht, interessiert v.a. am Konkreten, an Geschehen und Beziehung. Diese Entwicklung kann theologisch ein Chance sein, wenn sie hilft, biblische Zusammenhänge neu zu sehen und wiederzugewinnen – auch und gerade beim Thema „Trinitätslehre“.
3. Die Trinitätslehre hat ihren biblischen Sinn darin, dass sie alles christliche Reden von Gott in die Geschichte einzeichnet, die der Schöpfer und Vollender der Welt mit uns Christenmenschen aus den Völkern hat. Nur kraft dieser Geschichte kennen wir ihn: den Gott Israels, der durch Jesus Christus im Heiligen Geist auch unser Gott geworden ist.
4. Offenbarung ist in der Bibel nicht Information über Gott, sondern Einweisung in die Beziehung zu ihm. Von Gott reden, heißt darum: von seiner Geschichte mit denen erzählen, mit denen er in Beziehung getreten ist: von seiner Offenbarung als „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ an (Ex. 3,15).
5. Auch beim Übergang des Evangeliums vom jüdischen Bereich in die Völkerwelt wird Gottes Name mit Stichworten konkretisiert, die ihn als Gott-in-Beziehung verkündigen: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt. 28,19). Für alles Erzählen unter den Völkern von dem Gott, dem Menschen in der Taufe sich anvertrauen, sind damit die Grundkoordinaten genannt:
a) Gott wird verkündigt und angerufen als „Unser Vater im Himmel“; das ist er zuerst und bleibend als der Gott Israels; seine Geschichte mit diesem Volk (in der der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sich als „Israels Vater“ erweist) ist die Wurzel, die auch uns trägt.
b) Was es heißt, als Kinder des himmlischen Vaters zu leben, wird gerade für Menschen aus der Völkerwelt verbindlich und konkret durch Jesus, den Sohn Gottes schlechthin - nicht im (meta-)physischen Sinn, sondern analog zur biblischen Rede von der Berufung Israels als Gottes Sohn. Um dieser Berufung willen geht Jesus den verlorenen Schafen dieses Volkes nach und lehrt sie leben als Söhne und Töchter Gottes: ihre Feinde liebend, denen wohltuend, die sie hassen, betend für ihre Verfolger. Auf diesen einen Sohn Gottes hörend, erkennen schließlich auch Menschen aus den Völkern sich selber wieder in dem verlorenen Sohn auf dem Weg zurück ins Vaterhaus.
c) Dass dies geschieht, ist nichts weniger als selbstverständlich: ein Akt der Feindesliebe Gottes, der durch seinen Heiligen Geist die Herzen der Heiden reinigt und bereit macht, ihm zu dienen: sie, die „tot“ waren, werden lebendig; der Abgrund ihrer Entfremdung von dem einen, wahren Gott und der Gleichgültigkeit und Feindschaft zu seinem Volk wird geschlossen – wie die Propheten es für die Endzeit verheißen haben, wenn Gott seinen Geist ausgießt auf alles Fleisch.
6. Die Formel „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ bildet also die knappste Abbreviatur der Geschichte, durch die Menschen aus der Völkerwelt zum einen, wahren Gott gefunden haben, finden und finden werden.
7. Die Trinitätslehre (in Kurzform oder ausgeführt) hat darum vor allem einen doxologischen Sinn - als Ausdruck des anbetenden Staunens über die Wege Gottes mit uns: Dass wir, die vormals „Toten“, nun mit Gott leben dürfen, dass der Abgrund, der uns von ihm trennte, überwunden ist, ergibt sich nicht als Postulat aus einem universalistischen Gottesbegriff, sondern es ergibt sich aus dem Akt der Feindesliebe Gottes in Christus, dem wir uns verdanken.
8. Aus dem doxologischen folgt der konfessorische Sinn, und zwar unter dreifachem Aspekt: Das Bekenntnis zu dem Weg, auf dem Gott auch „unser Gott“ geworden ist, bedeutet,
a) dass wir Gott allein aus seiner Offenbarung erkennen: eben so, wie er sich uns zugewandt hat – in der Begegnung mit Jesus von Nazareth, die uns das Spekulieren verwehrt und uns auf den Weg ruft, den Weg der Nachfolge mit ihm;
b) es bedeutet zugleich die Warnung davor, ‚Gott’ auf anderen Wegen finden zu wollen, wo er verwechselbar wird mit den Gottesbegriffen der Heiden;
c) schließlich impliziert es eine Kampfansage gegen alle anderen „Kyrioi“ – seien es Kaiser- oder Führergestalten oder auch die Systemtyrannei eines immer totalitärer werdenden freien Marktes.
9. So verstanden, ist die Trinitätslehre zugleich notwendiger (!) Ausdruck dessen, dass ursprüngliche Heiden zum Gott Israels finden. Sie verfälscht nicht etwa die biblische Rede von dem Einen Gott – obwohl tritheistische Missverständnisse eine schwere Gefährdung bleiben -, sondern sie spricht von dem Einen Gott im Blick auf die Geschichte, in der er unser Gott geworden ist: eben nicht (wie Hosea für Israel sagen kann:) „von Ägypten her“ - also durch Exodus und Sinai -, sondern (all dies voraussetzend): erst von Golgatha her - durch Kreuz und Auferweckung und deren Folgen.
10. In der Mitte dieser Geschichte, alles nach vorne und hinten überstrahlend, steht darum der Name Jesus Christus; und so gehört er auch in die Mitte des Credo. Weil dieser Name uns Inbegriff der Zuwendung Gottes zum Menschen ist, darum ist in ihm alles mitgedacht, was zur Offenbarung gehört – also das Wort Gottes in allen seinen biblischen Brechungen und Facetten. Apostolicum und Nizänum bieten insofern nur einen Extrakt und sind mit dem Bewusstsein für ihre „Lücken“ zu hören: der Weg Israels und die Worte und Taten Jesu gehören mit zum Herzstück, zum Eigentlichen bei der Besinnung auf die Geschichte, in der wir sagen lernen: „Wir glauben an den einen Gott...“
11. In der Unterscheidung der Tradition zwischen „ökonomischer“ und „immanenter Trinität“ geht es um einen ins Ontologische verlegten Ausdruck der Gewissheit, dass Gott ‚in sich selbst’ kein anderer ist als der, als der er sich offenbart. Die Quelle dieser Gewissheit kann freilich nur wieder die Offenbarung sein; der hermeneutische Zirkel, der hier besteht, wird eigenartig hartnäckig ignoriert. Wirkt hier die alte, heidnische Furcht nach, die nach solchen Hilfskonstruktionen verlangt, weil sie es nicht ganz fassen kann, dass der Abgrund wirklich überwunden ist und Gott ohne Vorbehalt unser Vater sein will?
12. In biblischem Licht ist das Anliegen der „immanenten“ Trinitätslehre am besten aufgenommen, wenn das Gottesattribut schlechthin, nämlich seine Wahrhaftigkeit / Treue (Emèt) so ernst genommen wird, wie es in der Bibel gemeint ist: Der lebendige Gott gibt uns sein Wort; er spielt dabei nicht ein doppeltes Spiel, sondern ist wahrhaftig und sich selber treu. Mehr Gewissheit haben wir nicht. Mehr aber brauchen wir auch nicht.
13. Dieser Zugang zur Trinitätslehre hat praktisch-theologische Konsequenzen: denn biblisch verstanden lädt sie zum immer neuen Erzählen ein: von Gottes Handeln in Schöpfung, Offenbarung und Erlösung, in dem der Vater durch den Sohn im Heiligen Geist unser Gott ist – und wir seine Menschen.
a) Durch solches Erzählen ist am ehesten die Gefahr gebannt, dass die Trinitätslehre zerrieben wird zwischen den Alternativen einer der Tradition zuliebe übernommenen, mehr oder weniger unverstandenen „Bekenntnisformel“ und einer nur wenigen Eingeweihten zugänglichen, metaphysisch-spekulativen „Arkandisziplin“.
b) Solche erzählende Trinitätstheologie hilft zugleich, in der Kirche aus den Völkern die heilsgeschichtlichen Proportionen und Prioritäten (Röm 9-11!) neu zu entdecken; wir werden aufmerksam auf die Wurzel, die uns trägt: Gottes Geschichte mit Israel, ohne die Kirche und Ökumene in der Luft hingen.
c) Erzählende Trinitätstheologie verzichtet auf die erhabene Theoriesprache der Tradition mit ihrer akademischen Eigendynamik; statt dessen entspricht sie dem „Wort vom Kreuz“ auch darin, dass sie die Offenbarung Gottes da sucht und findet, wo sie – zum Hohnlachen der „Griechen“ - nun einmal geschehen ist: inmitten Israels, in dem gekreuzigten und auferweckten König der Juden. Dies liegt quer zu allen Erwartungen an eine ‚ordentliche’ Religion – sei sie „arisch“ oder „zivil“, deistisch oder pantheistisch – und ist darum heute nicht weniger provokant als damals. Die Trinitätslehre, biblisch verstanden, nötigt uns mehr denn je, diese Provokation zu wagen. Es geht darin um das Evangelium selbst.
d) Erzählende Trinitätstheologie kann feste, liturgische Formeln auch variieren – und alte Traditionen neu ans Licht holen: in der Jerusalemer Benediktinerabtei („Hagia Maria Sion“, vormals „Dormitio Mariae“) hat das „Gloria Patri“ nach den Psalmen – eine altkirchliche Formel aufnehmend und weiterführend - folgenden Wortlaut:
„Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist –
dem Einen Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Amen.“
[1] Die wichtigsten hier verarbeiteten Anstöße verdanke ich: Paul van Buren, A Theology of the Jewish-Christian Reality – Part I: Discerning the Way, San Francisco 1987 (bes. S. 68-93), und Friedrich-Wilhelm Marquardt, Wie verhält sich die christliche Lehre vom dreieinigen Gott zur jüdischen Betonung der Einheit Gottes? in: F. Crüsemann u.a. (Hg.): Ich glaube an den Gott Israels. Fragen und Antworten zu einem Thema, das im christlichen Glaubensbekenntnis fehlt, Gütersloh 1998, S. 37-45.
Manuel Goldmann