Wo ist mein Feminismus geblieben?

Mittwochs-Kolumne. Von Barbara Schenck

Vor zwanzig Jahren hab' ich mal feministische Theologie studiert. Heute arbeite ich halbtags, verdiene nur einen Bruchteil von dem, was mein Mann als Gemeindepfarrer zum Familieneinkommen beiträgt und verbringe dafür etwas mehr Stunden mit Haus und Kind.

Ein Klassiker der familiären Rollenaufteilung herrscht im Pfarrhaus - mit dem kleinen Unterschied, dass mein Mann auch Fenster putzt und die Waschmaschine zu bedienen weiß. Buchtitel wie "Jenseits von Gottvater, Sohn & Co", "Die Weiblichkeit des Heiligen Geistes", "Zu ihrem Gedächtnis", "Konstruktion des Weiblichen", "Mittäterschaft und Entdeckungslust", "Vom Verlangen nach Heilwerden", "Darum wagt es, Schwestern..." füllen rund fünf Regalbretter Marke Ivar in meinem Arbeitszimmer. Ein wenig schmerzlich ist der Blick auf die alten Bücher. Was sollte nicht alles anders laufen als bei meiner Mutter, aber ausgerechnet in meinem Jahrgang gab es "auf dem Markt" ein Überangebot an Theologinnen und Theologen.

Was ist aus meinem Feminismus geworden? Diese Frage stelle ich mir nicht ohne konkreten Anstoß. In diesen Tagen aber gibt es einen Anlass. Eine meiner feministischen Lehrerinnen ist vor einigen Wochen gestorben: Hannelore Erhart. In ihrer Vorlesung über den Bildersturm in Genf erzählte sie von Aktionen, die kein blindwütiger Vandalismus waren, sondern gezielter Protest gegen herrschende Machtverhältnisse. Einer Marienskulptur etwa wurde das Kind aus dem Arm geschlagen. Was soll das bedeuten? Frauen wehrten sich "gegen ein Mutterbild, das ihnen in dem Symbol der Maria als Vorbild auferlegt werden sollte", so Hannelore Erhart. Frauen des aufstrebenden Bürgertums wehrten sich dagegen, vornehmlich als stillende und ihr Kind ummantelnde Mutter wahrgenommen zu werden. Schließlich waren sie selbstständig handelnde Personen im öffentlichen Leben. Als Studentin faszinierte mich diese bilderstürmerische Botschaft, heute, als Mutter eines Kindes fehlen mir die Fragen danach, was denn mit dem Kind geschah, warum es nicht Josef in den Arm gelegt wurde, warum zu der einen Maria nicht viele weitere Frauen hinzugesellt wurden. Fragen zu stellen, die sich aus meinem Alltag ergeben, und nicht abseits von dem, "was läuft" Theologie zu treiben, auch das habe ich von Hannelore Erhart gelernt.
Für mich läuft die Erziehung meiner Tochter und damit die Ungewissheit, wie es ihr ergehen wird in einer Welt, in der die "Geschlechtergerechtigkeit" noch in den Kinderschuhen steckt. Kurz vor dem zehnten Geburtstag beobachtet mein Kind: "Es gibt mehr Mädchen mit Jungengeschmack - so wie mich -, als Jungen mit Mädchengeschmack."
Von klein auf stecken wir uns in Geschlechter-Kategorien, die nicht passen. Das ist ärgerlich, aber ein Vergnügen ist es, meine Tochter in ihrem "Jungengeschmack" zu unterstützen. Dabei nützt die feministische Auslegung des Bilderverbots. Das zweite Gebot warnt davor, Gott als Mann zu denken und es widerspricht einem Denken, das Menschen in die Kategorien von männlich und weiblich zwängt. Was um Himmels willen ist "Jungengeschmack"?

Literatur:
Hannelore Erhart: "Ich habe mich niemals um eine Frau bemüht." Das Frauenbild bei Luther und Calvin, in: R. Jost u.a., Wie Theologen Frauen sehen - Von der Macht der Bilder, Freiburg 1993, 57-79.
Geburgis Feld: Hannelore Erhart: "Theologie kann ich nicht abseits von dem treiben, was läuft!", in: Wie wir wurden, was wir sind. Gespräche mit feministischen Theologinnen der ersten Generation, Gütersloh 1998, 11-19.

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Barbara Schenck, 29. Mai 2013