Hell schlagen die Flammen in die Frühlingsnacht, hell sind die Gewänder derjenigen, die den Gottesdienst in der Osternacht leiten werden. Sie beginnt traditionell hier am Osterfeuer. Auf dem Weg zur Schlosskirche trennt sich dann die Prozession. Die Katholiken biegen an der nächsten Seitenstraße rechts ab. Sehr symbolisch, denke ich, als ich weiter Richtung Schlosskirche gehe – aber in dieser Stadt wird schnell alles symbolisch.
In der Schlosskirche holt der Küster eilig noch ein paar Klappstühle dazu, denn es ist voll, obwohl (oder vielleicht weil?) die Kirche gerade eine Baustelle ist und innen komplett eingerüstet und verschalt. Ein bisschen mühsam ist es in diesem Rahmen, die liturgisch angemessene Atmosphäre zu erzeugen. Das Altarpodest knarzt und wackelt, das Mikrofon überträgt das Beben am Lesepult. Es werden sechs Menschen getauft in dieser Nacht, keine Säuglinge, sondern Kinder, die schon selbst ja sagen können, einige Konfirmanden und eine junge Frau. Der Gottesdienst dauert, weil es auch noch Abendmahl gibt, aber alle sind mit innerer Beteiligung dabei. Weil es einfach schön ist zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich zur Kirche halten, trotz all der Baustellen, die wir so haben. Die Konfirmanden haben selbstbewusst ihr Ja gesagt, ihre Eltern scheinen stolz auf sie zu sein und die junge Frau sah auch ganz normal und sogar glücklich aus. Die Gesichter leuchten im Licht der Taufkerzen. Und wir nehmen eine Osterkerze mit nach Hause.
„Gott oder gar nicht“ bringt es der Journalist Matthias Kamann in der Osterausgabe der WELT auf den Punkt. Das ist, journalistisch prägnant zusammengefasst, das Ergebnis der neuesten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD mit dem etwas weniger griffigen Titel „Engagement und Indifferenz“. Gott oder gar nicht - das ist hier in Wittenberg schon seit langem Realität. Wer hier Gymnastik machen möchte, geht zum Sportverein. Wer Kaffee trinken will, in den Nachbarschaftstreff oder zur Volkssolidarität. Und wer an Gott glaubt, geht in die Kirche und zum Gottesdienst, schickt sein Kind auf die evangelische Schule und zum Konfirmandenunterricht.
Natürlich sorgen auch die vielen Gäste in der Stadt dafür, dass fast immer zusätzliche Stühle dazugestellt werden müssen. Aber auch die Gäste wollen sich ja nicht nur im Lutherhaus ansehen, wie es damals in Wittenberg war, sondern im Gottesdienst erleben, wie es heute hier ist. Ich finde, man merkt, dass wir oft mit Leuten zu tun haben, die zumindest in der Art und Weise, wie hier Gottesdienst gefeiert wird, nicht zuhause sind. Sie werden freundlich empfangen und bekommen ein Blatt mit dem Gottesdienstablauf. Sie werden zu Beginn des Gottesdienstes willkommen geheißen, auch auf Englisch. Es gibt einen Kindergottesdienst, sehr oft schöne Kirchenmusik, häufig Abendmahl und manchmal noch die Gelegenheit zum Gespräch. Und viele gehen mit einem Leuchten im Gesicht aus dem Gottesdienst. Nicht nur in der Osternacht.
Kathrin Oxen leitet seit 2012 das Zentrum für evangelische Predigtkultur und lebt mit ihrem Mann, Dr. Karl Friedrich Ulrichs, und vier Kindern in der Lutherstadt Wittenberg. Zuvor war sie acht Jahre lang Pfarrerin der ev.-reformierten Kirche in Mecklenburg.
Kathrin Oxen, Wittenberg, 23. April 2014