Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. (Matthäus 1, 18- 23)
ER hatte eine klare Vorstellung von den Dingen- und von seinem Gott. Und die kam nicht von ungefähr... Nein, er war textsicher. Schon die Propheten hatten gesagt: Wenn Gott jemals auf die Erde kommen sollte, ja, wenn der versprochene Messias in Gottes Namen kommt, dann mit Pauken und Trompeten. Oder die Psalmen: Wenn Gott sich auf Erden erweist, dann als König und mit Heerscharen. Überhaupt - die Heilige Schrift sprach Bände: Wenn Gott kommt, dann ist es unübersehbar. Dann ist er allmächtig. SO war sein Gott und so war es für ihn auch selbstverständlich, dass Maria, seine Maria gelinde gesagt meschugge geworden sein musste.
Erst - schlimm genug, wurde sie schwanger - und das wohl nicht von ihm. Aber noch mehr: jetzt behauptet sie auch noch, das Ganze sei auf eines Engels Verheißung hin geschehen. Nicht irgendeines Engels, nein, der Erzengel Gabriel höchstpersönlich! Und noch mehr: Von Gott selbst sei sie, die kleine und unscheinbare Maria erwählt, Gottes Sohn zu gebären. Der große allmächtige Gott im Schosse einer kleinen Magd? Also bitte- wer hätte so etwas je gehört?
Nein, er war sich sicher, Gott war mit ihm, wenn er solch irrwitzigen Ideen und damit dieser Beziehung ein Ende machte. Also tat er, Joseph, was ein Mann in solch einer Lage tun musste: er ging. Nur - er kam nicht weit. Noch gar nicht richtig auf dem Weg fort von Maria stellt sich ihm - jaja, er ist sicher der Ironie bewusst - ein Engel in den Weg. Nicht irgendein Engel, sondern der Erzengel Gabriel selbst. Was er zu sagen hat, ist anders als alles, was Joseph je erwartet hätte:
Auch wenn Joseph das nicht recht sei - Gott, so sagte der Engel, entscheide immer noch selbst, wen er erwähle und wie er sich auf Erden zeige. Und ja, Gott habe seine Maria auserwählt. Ja, sie ist schwanger. Und in dem Kind, das sie gebären wird, will Gott mit seinen Menschen sein. Und er, Joseph, solle endlich seinen Mann und Maria beistehen. Spricht Gabriel und geht. Joseph bleibt sprachlos zurück. Gott, der Allmächtige, birgt sich in dem Schoss eines jungen Mädchens? Kein Palast? Kein König? Keine Macht? Unvorstellbar.
Was soll er sagen, dann ist sie da, die Nacht der Nächte. Still ist es, kühl ist es, einsam ist es. Die werdende Familie ist nicht gewollt, hier, in dieser fremden Stadt. Die Geburt ist nicht willkommen in den fremden Herbergen. Dann eben ein Stall. Stroh, die Wärme der Viecher. Das muss reichen. Und es reicht. Als ein kräftiges Schreien durch die Nacht hallt, ist er da, der Zauber der ersten Momente. Kein Hirngespinst, sondern wunderbare Realität. Das Kind in Marias Armen. Hilflos und klein. Ungefragt brennt sich dieses Bild ein. Und Joseph sieht es und spürt - Gott ist mit ihm. Ganz anders, als er es von seinem Gott erwartet hat. Und doch ist Gott mit ihm, in diesem Moment, in dieser kleinen Welt, in diesem ärmlichen Dasein. Jetzt weiß er, was er zu tun hat. Er nennt Marias Kind bei dem Namen, den Gott gewählt hat: Jesus. Und gibt ihm den Beinamen, den Gott in diesem Moment wahr werden lässt: Emmanuel, das heißt: Gott ist mit uns. Oh ja, dachte er - So also ist Gott mit uns.
SIE hatte eine klare Vorstellung von den Dingen. Und von Gott. Und die kam nicht von ungefähr... Sondern von denen, die es wissen mussten. Allein die Pharisäer wurden nicht müde, zu betonen: Wenn Gott auf irgendeiner Seite ist, dann auf der derer, die es verdient haben. Dann die Frommen in ihrem Dorf - sie waren überzeugt: Wenn Gott zu finden war, dann bei denen, die regelmäßig in den Tempel gingen. Überhaupt schienen alle zu glauben: Den Rechtschaffenen, Frommen, denen war Gott nahe. Und deshalb war sie sich sicher: die mit Fehlern, Schuld, Zweifeln, die mussten schon selbst zurechtkommen. Und das kam sie auch. Meistens.
Sie verdiente gut mit ihrem anrüchigen Job. Sicher, es war nicht ungefährlich- Männer konnten sich vergessen, es gab Krankheiten. Aber bislang kam sie zurecht. Was ihr aber zu schaffen machte, war die Einsamkeit. Die Leute mieden sie, weil sie einen schlechten Ruf hatte. Schmutzig sei sie und ohne Ehre. Gottlos. Die meisten schauten weg, wenn sie kam. Oder, was noch schlimmer war- sie sahen sie erst gar nicht. Sie konnte es den Leuten noch nicht einmal verdenken. Sie fing schon an, sich weg zu ducken, wenn jemand kam. Sah auf den Boden. Am Ende der Nacht blieb sie allein.
Bis zu jenem Tag, an dem sie die Leute hatte reden hören. Dieses Mal nicht über sie selbst, sondern über ihn - diesen Wunderheiler aus Nazareth. Er sei der Messias. Ein Heiler, der Retter, Gottes Sohn gar! Nicht, dass sie derlei Prophezeiungen nicht schon einmal gehört hätte. Aber dieser Messias war anders. Er schien die Gegenwart Gottes nicht zuerst zu den Frommen und in den Tempel zu bringen. Nein, es hieß, er wählte sich die Menschen selbst und ginge zuerst in die kleinen Hütten und auf die Straßen. Er habe sogar mit einem zwielichtigen Zöllner gegessen und zöge mit heruntergekommenen Fischersleuten umher.
Das machte sie neugierig. Als sie ihn findet, da hört sie ihn sprechen. Neue Worte sind das.
Von Gott und seiner ungefragten Liebe für jeden.
Von der Vergebung die Gott schenke - nicht, weil jemand es verdiene, sondern ganz einfach, weil er es wolle.
Von den Gebeugten, die in Gottes Namen wieder aufrecht stehen sollten.
Das ist überraschend anders als das, was sie erwartet hatte. Gott mit allen Menschen? Dann auch mit ihr? Seine Worte setzen sie in Bewegung. Sie achtet nicht auf die argwöhnischen Blicke der anderen, sie wirft sich ihm, diesem Messias, zu Füßen und küsst dieselben. Wenn diese Füße solch einen Gottesmann nicht zu den Frommen und Aufrechten, sondern zu den Armen und Sündern tragen, dann kommen sie direkt auf sie zu. Dann will sie diese Füße salben, waschen, pflegen. Die Leute weichen entsetzt zurück - nur er bleibt gelassen. Er sieht sie ruhig an und spricht mit ihr. Es ist ein heiliger Moment, das spürt sie. Seine Augen sehen sie an und sie schaut auf. Schaut endlich wieder auf. Was sie sieht, ist ungefragte Liebe. Nicht käuflich, nicht bedingt. Rein. Sie würde sogar sagen: Göttlich.
Als er gegangen ist, mit ihren Küssen auf seinen Füßen, kniet sie nicht mehr. Sie steht endlich wieder aufrecht. Eines fehlt ihr noch - sein Name? Die Frau neben ihr antwortet ihr: Jesus. Sie nennen ihn: Emmanuel. Das heißt: Gott mit uns. Oh ja, denkt sie. So also ist Gott mit uns. Er hatte eine klare Vorstellung von den Dingen. Und von Gott. Und die kam nicht von ungefähr. Schon sein Vater hatte ihm eingebläut: Gott war mit den Siegreichen. Er war mit denen, die auf der richtigen Seite standen. Und die Heerführer - hatten sie Gottes Namen nicht seit Jahrzehnten in Messing gehauen? An ihren Gürteln konnte man es lesen: Gott mit uns. Oder der Pfarrer - er hatte neulich noch etwas verschachtelt gesagt, ihr Gott sei ein deutscher Gott, der „Eisen wachsen ließe“ gegen die Feinde, die sie scheinbar mächtig umzingelten. Sie, die Deutschen seien eingekesselt, umgeben von fremden Mächten, die es jetzt, mit Gottes Hilfe, niederzuringen galt.
In der Zeitung stand es: die deutsche Nation war heilig und auserwählt von Gott, zu siegen. „Ein Volk, ein Reich, ein Gott“. Und jetzt, 1914, hatte sogar seine Kirche dem Krieg seinen feurigen Segen gegeben. Groß hatte sie verkündet: „Wer im Kampf stirbt, der stirbt in dem Herrn; denn er hat sein leiblich Wohl unter das Wohl des Volkes untergeordnet und hat sein Leben für die Seinen hingeopfert.“ Und sprach nicht zuletzt der Kölner Kardinal vom Segen des Krieges für die gebeutelten Deutschen? Endlich sollten sie sich befreien von einer Welt voller Feinden.
Ja, für den deutschen Soldaten gab es keinen Zweifel: ihre Sache war gerecht, denn ihr Gott war auf Seiten der Opfer, die sie selbst waren. Und deshalb: Gott würde sich schon zeigen im Getöse der Geschosse. Gott würde schon mit ihnen sein, wenn sie dem Feind gegenüber standen. Mit Gott. Für das Vaterland. Das war seine Parole.
Bis zu diesem Abend. Am Himmel steht ein blasser Mond. Bleich. Bleich wie die Toten. Mitten im Schlamm, im Stacheldraht, im Niemandsland. Es ist der frühe Abend des 24. Dezember 1914. Nur das Quietschen der feuchten Stiefel ist zu hören, ab und zu ein geflüsterter Befehl und der Wind, der über das fremde Land fegt. Die Hände schmerzen von der feuchten Kälte. Er lehnt an der Wand des Schützengrabens. Er starrt durch eine Luke auf den Graben an der anderen Seite, etwas 200 Meter entfernt, dort, wo die Engländer sitzen, hinter aufgeschütteter Erde, die wie Grabhügel aussehen. Er denkt an zu Hause, an die Lichter, die jetzt entzündet werden in den warmen Zimmern. In Gedanken hört er Weihnachtslieder, weit weg. Weihnachten.
Weihnachten, das hatten er und so viele andere Soldaten geglaubt, als sie im Sommer an die Front marschierten, Weihnachten sollte der Krieg zu Ende sein. Aber Weihnachten geht gar nichts mehr an der Westfront, die vom belgischen Nieuwpoort an der Nordsee bis zur Schweizer Grenze im Süden reicht und an der sich Deutsche auf der einen, Belgier, Franzosen und Briten auf der anderen Seite gegenüberliegen. Erstarrte Fronten im Stellungskrieg. Die Soldaten verkriechen sich in Gräben, die manchmal nur 20 Meter entfernt liegen von den Gräben der Gegner. Sie schießen, sie werfen Handgranaten. Sie rennen bei Sturmangriffen in den Kugelhagel. Sie sterben. Bis zu diesem Abend waren schon 160.000 junge englische Männer gefallen und 300.000 Deutsche. Sie sterben an Kälte. Sie sterben durch Waffen. Sie sterben am Fußbrand, der die Körperteile zerfrisst, wenn sie nie trocken werden in den Schlammlöchern der Schützengräben. Kein Wunder, dass er nicht in Weihnachtsstimmung ist in dieser gottverlassenen Szenerie.
Er träumt noch von zu Hause, als er an jenem Weihnachtsabend auf seiner Seite plötzlich ein Licht aufflackern sieht. Ein einzelnes Flackern erst, dann ein Licht nach dem anderen. Und dann hört er eine Stimme, eine deutsche. Ganz nah ist sie. Wer war da so lebensmüde? "English soldier", ruft sie, "English soldier, a merry Christmas, a merry Christmas!" Gebannt hält er den Atem an- die Briten schweigen. Kein Laut, außer den Befehlen der Offiziere, still zu bleiben. Und er weiß, warum - es war noch nicht lange her, da hatten deutsche Soldaten an der Westfront vorgetäuscht, sich zu ergeben. Doch als die Briten ebenfalls die Waffen senkten, kamen Deutsche aus dem Hinterhalt – und schossen.
Heute Abend aber war etwas anderes größer als die Angst. An der englischen Linie hört man Männer, die den Weihnachtsgruß der Deutschen erwidern. Sie können nicht widerstehen, sich gegenseitig schöne Weihnachten zu wünschen. Sie beginnen, mit den Deutschen zu reden, nicht ohne die Gewehre fest in den Händen zu halten. In dieser Weihnachtsnacht, in der sie Lieder hören aus den deutschen Schützengräben, in der die Briten mit Lachen antworten und Weihnachtslieder aus ihrer Heimat singen- in dieser Nacht fällt kein Schuss. In der Dämmerung, als der Himmel grau und rosa wird, schießen sie nicht. Sie stehen auf und rufen Segenswünsche herüber zu den Männern, mit denen sie wenige Stunden zuvor noch gekämpft haben um Leben und Tod.
Dann stehen sie zusammen. Sprechen miteinander. Das Misstrauen ist immer dabei. Ein Fest feiern sie trotzdem. Sie tauschen Zigaretten und Adressen. Sie singen "Stille Nacht, heilige Nacht" und "Silent night, holy night". Sie zeigen sich Fotos von ihren Liebsten. Und während sie so beieinander stehen und den kleinen Frieden von unten feiern, löste er, der deutsche Soldat, seine Gürtelschnalle, das Koppelschloss. Es ist nicht geplant, es ist eher so, dass es ihm geschieht. Er drückt seine Schnalle einem blassen britischen Soldaten in die Hand, ringt um Worte, findet sie mühsam, so neu sind sie. Hier, sagt er, for you. Für dich. „Gott mit uns“ steht auf dem Koppelschloss. Der Soldat sieht ihn an: „Merry Christmas! God bless you“ Er zeigt auf die Schnalle.
Der deutsche Soldat übersetzt: „God with us!“ Ein Engländer kennt diese Worte aus unzähligen Weihnachtsgottesdiensten: „Behold, the virgin shall be with child, and shall bring forth a son, And they shall call his name Immanuel; which is, God with us“. Als einer eine deutsche Bibel herauskramt, finden sie die Stelle im Matthäusevangelium: „Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, was in der Übersetzung heißt: Gott mit uns.“ Sie nicken. Sie schweigen. Und sie verstehen. Eine uralte Verheißung wird heute Abend war. So also, in ihrem kleinen Frieden, ist Gott mit ihnen.
Als er sich am frühen Morgen zurück zieht in seinen Schützengraben, da geht der deutsche Soldat ohne Koppelschloss. Aber nicht ohne Gott. Er ist sich sicher: Gestern Abend , als Menschen, nicht Waffen gesegnet wurden, als Worte, nicht Schüsse gewechselt wurden. als Angst und Heimweh, als Glaube und Hoffnung geteilt wurden, da war Gott mit ihnen. Wie hieß es: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. So war es gestern gewesen.
Sicher, er wusste wohl, schon bald würden sie wieder aufeinander schießen. Nur - nie wieder würde er es im Namen Gottes tun. Denn den teilte er von nun an mit seinem Feind. Seit gestern verfügte und bestimmte er nicht mehr über den Namen Gottes. Seit gestern war ihm der Name Gottes heilig.
Amen.
Gehalten am 17. August 2014 in der Bergkirche Osnabrück