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Predigt zu Mi 6,1-6 zum 22. Sonntag nach Trinitatis, in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Hildesheim am
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für heute steht im 6. Kapitel im Buch des Propheten Micha im Alten Testament. Ich lese die Übersetzung aus der Zürcher Bibel.
1Hört doch, was der Herr spricht:
Auf, führe einen Rechtsstreit vor den Bergen,
und die Hügel sollen deine Stimme hören!
2Hört, ihr Berge, den Rechtsstreit des Herrn,
und ihr Uralten, ihr Grundfesten der Erde!
Denn der Herr hat einen Rechtsstreit mit seinem Volk,
und mit Israel rechtet er.
3Mein Volk, was habe ich dir angetan?
Und womit habe ich dich ermüdet?
Sage gegen mich aus!
4Ich habe dich doch heraufgeführt aus dem Land Ägypten
und dich erlöst aus dem Sklavenhaus!
Und vor dir her habe ich Mose, Aaron und Mirjam gesandt.
5Mein Volk, erinnere dich doch, was Balak, der König von Moab, beschlossen
und was Bileam, der Sohn von Beor, ihm geantwortet hat, was von Schittim bis Gilgal geschah,
damit du die gerechten Taten des Herrn erkennst!
6Mit welcher Gabe soll ich vor den Herrn treten,
mich beugen vor dem Gott der Höhe?
Soll ich mit Brandopfern vor ihn treten, mit einjährigen Kälbern?
7Gefallen dem Herrn Tausende von Widdern,
ungezählte Bäche von Öl?
Soll ich meinen Erstgeborenen hingeben für mein Vergehen,
die Frucht meines Leibes als Sündopfer für mein Leben?
8Er hat dir kundgetan, Mensch, was gut ist,
und was der Herr von dir fordert:
Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben
und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.
[2.]
Der Herr ist ungehalten in unserem Text. Er will einen Rechtsstreit führen und ermuntert sein Volk Anklage gegen ihn zu führen: Mein Volk, was habe ich dir angetan? Und womit habe ich dich ermüdet? Sage gegen mich aus!
Na, denken wir und dachten sicher auch die ersten Hörer und Hörerinnen dieses Textes, wenn das die Rede Gottes ist im Munde des Propheten Micha... Das kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. Wer könnte gegen Gott streiten? Und dabei womöglich gewinnen?
Es ist klar: Darum geht es nicht. Micha überliefert eine Gottesrede, bei der Gott in einer Mischung aus Wut und Traurigkeit und Verzweiflung redet, weil sein Volk sich eben nicht erinnert, dass Er ihr Gott ist, dass sie frei sind, weil Er sie gerettet hat. Sie merken’s einfach nicht. Er beißt sich die Zähne aus, aber all sein rettendes Handeln, all seine gerechten Taten kommen nicht an bei seinem Volk. Verzweifelte Liebe, die sich in Sarkasmus rettet.
Und sein Volk, das denkt über Opfergaben nach, über einjährige Kälber, über tausende von Widdern, ungezählte Bäche von Öl, ja sogar über ihre Erstgeborenen als Sündopfer. Es wird in dieser Aufzählung immer verrückter. Und uns wie den ersten Hörern und Hörerinnen ist spätestens bei den Erstgeborenen klar: Nein, nein, so geht’s gar nicht. Alles falsche Wege. Gott und sein Volk, sie kommen in dieser Prophetenrede einfach nicht zusammen.
[3.]
Und wir? Machen wir’s besser? Gilt diese wütende Gerichtsrede auch uns? Lasst uns aufs Ende schauen. Denn da steht die Quintessenz dieser wütend-sarkastischen Gerichtsrede, die der Prophet Micha zieht. Micha sagt über Gott: Er hat dir kundgetan, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert: Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.
Mensch, hebräisch adam, ist die Anrede. Wir haben keine Ausrede. Jeder Mensch ist gemeint, nicht nur die, denen Gottes Weisung als erstes galt, seinem Volk. Seine Weisung gilt allen Menschen, dir und mir.
Der Predigttext findet in diesem letzten Vers seinen Höhepunkt: Er wendet sich an adam, das heißt, er öffnet die Rede vom Rechtsstreit zwischen Gott und seinem Volk Israel für alle Menschen, die Gott geschaffen hat. Es geht nicht um die 613 Ge- und Verbote in der Hebräischen Bibel, nicht mal um die Zehn Gebote. Es geht nur darum, was „gut“ ist. Und was ist gut? Es sind drei Dinge: Recht üben, die Güte lieben, in Einsicht mitgehen mit deinem Gott.
Im Blick ist der Mensch als Teil einer Gemeinschaft, denn Recht üben und die Güte lieben können sich nur auf die Mitmenschen beziehen. Micha reiht sich in die vielen prophetischen Stimmen der Bibel und die Stimmen der jüdischen wie christlichen Tradition ein, die versuchen, das Zentrum aller Gebote auf kürzere Formeln zu bringen. Das Doppelgebot der Liebe ist so eine Formel. Und der Dreischritt von Micha ist auch so eine Formel.
[4.]
Was genau ist gemeint? Recht üben, Güte lieben, in Einsicht mit deinem Gott gehen?
Recht üben. Andere übersetzen: Gerechtigkeit üben. Das Recht nicht beugen. Kein Unrecht dulden. An vielen Stellen der Bibel ist ausgeführt, was das bedeutet. Mir fallen die ganzen Bereiche des sozialen Miteinanders ein: solidarisch sein, den Reichen mehr Steuern zuzumuten, damit die Löcher in den Renten- und Pflegekassen gestopft werden können statt das Rentenniveau auf 46 Prozent zu senken. Wie sollen Menschen mit normalen Gehältern davon im Alter leben können? Es ist nicht gerecht, dass jemand 45 Jahre arbeitet und dann von seiner Rente nicht leben kann. 10,1 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland – das sind 54 Prozent – haben weniger als 1.100 € monatlich und fallen damit unter die Armutsgrenze.
Man kann mit Micha argumentieren, aber auch mit dem gesunden Menschenverstand. Das ist einfach nicht gerecht! Und das Beispiel macht auch klar: Recht üben, das ist nicht nur eine Sache des einzelnen Gläubigen, des einzelnen Menschen, es ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
Güte lieben. Das ist der zweite Punkt von Michas Dreischritt. Luther hat übersetzt: Liebe üben. Das zielt auf Barmherzigkeit. Es erinnert mich an ein anderes Prophetenwort: Hosea (6,6) sagt es, Matthäus (9,13) zitiert es: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Nicht aufrechnen, fünfe gerade sein lassen, gütig sein. Damit rechnen, dass mein Mitmensch nicht perfekt ist, sondern angewiesen auf mein Wohlwollen. Wohlwollen, Güte, Liebe, das muss zu Recht und Gerechtigkeit hinzukommen. Denn das Recht ist wichtig, aber es reicht Gott nicht. Der Umgang zwischen den Menschen soll auch mit Liebe und Güte gesegnet sein.
Und der dritte, der wichtigste Punkt: in Einsicht mit deinem Gott gehen. Oder bei Luther: demütig sein vor deinem Gott. Beide Übersetzungen sind möglich. Das Hebräische enthält sprachlich tatsächlich die Bewegung des Mitgehens. Luthers Wort demütig ruft da vielleicht eher Gedanken von Sich-klein-Machen auf. Gemeint ist aber auch bei Luther: Sei dir bewusst, dass Gott nicht einfach dein Begleiter ist, sondern dass seine Schrittlänge schon anders ist als deine. Sei also einsichtig. Aber geh mit.
[5.]
Wer von Ihnen wandert, der weiß, dass das zu zweit gar nicht so einfach ist. Wie soll man Schritt halten, wenn einer der beiden einfach längere Beine oder die bessere Kondition hat?
Mitgehen. Gar nicht so leicht. Wie bleibe ich in Kontakt, wenn ich den Anschluss verliere? Kann das vorkommen? Würde Gott auf mich warten? Hat Micha das gemeint? Und wohin geht’s überhaupt?
Ich stelle mir vor: Es ist wie bei Ruth und Noemi. Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Die Richtung stimmt auf jeden Fall, darauf vertraue ich. Und ich weiß, ich bin einsichtig oder auch demütig: Mit Gott mitgehen, das ist anders als Wandern. Es ist vielleicht zuweilen anstrengend, aber auf jeden Fall bin ich heilfroh, dass Er mich an die Hand nimmt, dass ich geführt werde... Wenn ich mich führen lasse. Ich gehe nicht voran, ich folge nach.
In der Bibel stehen die Wege, die Gott geht und die ich mitgehen soll. Es sind Wege der Gerechtigkeit und der Liebe, Wege zu den Menschen, Wege zum Heilwerden. Wege ins Leben, wo einen nichts scheiden kann von der Liebe Gottes. Es sind Wege, auf denen mir Mitmenschen begegnen werden. Wohl eher die, die ausgeraubt und zerschlagen irgendwo zwischen Jerusalem und Jericho liegen oder eben verletzt und niedergeschlagen zwischen Hildesheim und Emmerke oder sonst wo in meinem Umfeld ihr Leben fristen und meiner Hilfe bedürfen. Die, die ein gutes Wort brauchen. Die Verzagten. Die Angegriffenen. Die Hoffnungslosen. Die Schutzsuchenden. Die zu Tode Erkrankten.
Diese treffen wir auf dem Weg unterwegs mit Gott. Nimm dir Gottes Liebe, seinen Glauben an dich, seine unbeirrbare Hoffnung, die er auf dich setzt, zum Vorbild. Geh in Einsicht mit deinem Gott.
Amen.
Bärbel Husmann