„Darf ich weiterlesen? Das macht so’n Spaß.“ Meine Tochter kann es nicht erwarten, die nächste Geschichte anzufangen. Endlich einmal ein Buch für Erstleser, dessen Geschichten ihr gefallen. Das weiß sie bereits vor dem Lesen – aus vorgelesenen Kinderbibeln und vom Kindergottesdienst. Nun heißt es selber lesen. Die Sätze kurz und knapp, kein Nebensatz. Das ist sprachlich nicht fordernd, gar überfordernd, aber eben auch nicht anstrengend.
In der Reihe von Leserabe, Leselöwe, Lesedetektiv und Co. ist die „Kinderlesebibel“ eine Perle mit Texten, in denen mehr steckt als ein Moment Leseübung, aber eben auch mit Geschichten, die bekannter sind als „Kira und ihre Hexenschuhe“.
Die Erzählung von Josef und seinen Brüdern hat meine Tochter gerade im Religionsunterricht gehört. Jetzt liest sie: „… ‚Tage später sind die Brüder auf der Weide. Josef kommt dazu. Die Brüder packen ihn. Dann werfen sie ihn in ein tiefes Loch.’ – Loch? Mama, da haben die sich wohl geirrt. Es war ein Brunnen!“
Weiter geht’s mit David, Saul und Jonathan – säkular betrachtet mit Konflikt, Kampf und Tod. „Das ist gar nicht so spannend“, kommentiert meine Tochter. 87 Wörter, das ging wohl zu schnell und war zu einfach, denke ich. Kinder im Erstlesealter kennen vom Hören der CDs spannende Abenteuergeschichten vom „magischen Baumhaus“, den „Drei Fragezeichen“, „Fünf Freunden“ oder wenigstens den Klassiker „Räuber Hotzenplotz“. Die Texte, die sie selbst lesen können, sind dann oftmals für ihren Forscher-, Abenteurer- und Feengeist zu simpel.
Wir kommen zur Weihnachtsgeschichte: „… Weitere Engel kommen und singen: ‚Ehre sei Gott in der Höhe. Für alle wird es Frieden geben.’ Die Hirten suchen das Kind. Sie finden es in Bethlehem.“ Die als Zitat markierten Worte würden Siebenjährige – für dieses Alter wird das Buch vom Verlag empfohlen – auch im echten Zitat nicht überfordern: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Eine „Kinderlesebibel“ könnte sich, so meine Vorstellung als Mutter, mutig und zumutend auch als Kulturträger der deutschen Sprache verstehen.
Der Kinderlesebibeltext bietet mit Kreisen markierte Namen von Orten, Ländern, Flüssen, dazu zwei Landkarten. Meine Tochter findet Haran, Ägypten, Midian, den Berg Sinai und Moab – nur: Wo ist das mit Kreis markierte „Israel“? Auf der Karte ist Israel als Ländername nicht zu finden. Nun ja, verstehen, wie das passieren konnte, kann ich – dank Theologiestudium – und darf erklären. Bethlehem und Ninive sind wieder schnell gefunden, Kanaan suchen wir vergeblich. Für meine Tochter steigert das die Lust beim Suchen: Find’ ich’s oder find’ ich’s nicht?
Im Lesetext gibt es auch mit Sternchen markierte Worte. Die Erklärungen im Anhang zu finden ist für durchschnittlich begabte Siebenjährige allerdings eine echte Herausforderung. Die Lesenlernenden üben zwar, mit einem Wörterbuch umzugehen, aber ohne hervorgehobene Markierung von Anfangsbuchstaben in alphabetischer Reihenfolge, z.B. so: Amme, Bild, Christen, Dritter Tag …, Zöllner, ist es für sie mühsam, das gesuchte Wort zu finden.
Dafür sind die Erklärungen dann wieder gut zu lesen und vermutlich für manch ein Elternteil recht hilfreich. Myrrhe ist übrigens nicht, wie ich bisher dachte, ein getrocknetes Gewürz, dem duftenden Rosmarin ähnlich, sondern: „Ein gut riechendes Harz, das heilen kann.“
MICHAEL LANDGRAF
Kinderlesebibel
Illustriert von Susanne Göhlich
Vandenhoeck & Ruprecht
Verlag Katholisches Bibelwerk
Göttingen 2011
ISBN Print: 978-3-525-58017-2
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