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NGO's im Nahostkonflikt
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 7. Kapitel
18.9.16
Mein Bikel ist platt – irgendeine winzige Scherbe muss durch den Mantel gedrungen sein, ich kann sie nicht sehen, aber die Luft ist definitiv raus – muss ich gleich heute zu Ran-o-Fun bringen!
Ich hatte aber meinen Plan, mit dem Bikel im Zug nach Jerusalem zu fahren, ohnehin aufgegeben, weil ja mein Praktikant mitmusste; also sind wir mit dem Auto gefahren. und dabei stellte sich - wieder einmal - heraus, dass ich noch viel lernen muss:
- Wenn man mit dem Auto fährt, muss man drei Stunden nach Jerusalem einrechnen – 2 1/2 ist zu wenig. Wir waren zwar um 5 vor 11 am Stadtrand von Jerusalem angekommen, aber da habe ich schon zu Robin gesagt: Jetzt sind wir zwar in Jerusalem, aber das heißt noch lange nicht, dass wir da sind. Und so kam es auch:
Erst wurde die Kreuzung, wo es links abgeht nach Rechavia rein, von Polizeimotorrädern abgeriegelt. Ich dachte erst, das wäre dafür, „Bibi“ den Weg freizumachen von einer Knessetdebatte zurück zu seinem Amtssitz – aber dann kam eine Gruppe von Läufern. Später stellte sich raus, dass es in Jerusalem einen Nacht-Lauf geben wird – Start und Ziel am Jaffa-Tor. Jedenfalls trotteten die Läufer_innen gemütlich die Straße nach Rechavia rauf.
Also musste eine Umgehung gefunden werden. Zum Glück kenne ich mich in dieser Gegend noch ganz gut aus, weil wir da 1987/88 gewohnt haben. Ich nahm also fröhlich eine der kleinen Seitenstraßen – und da steckten wir hinter dem Sperrmüllauto fest! Es ging quälend langsam - aber alles Gehupe hinter und vor uns nützte natürlich gar nichts. Die Leute brauchten halt ihre Zeit, um Sofas und Schränke usw. auf ihren Wagen zu hieven... - Und als wir dann schließlich um 20 vor 12 im Gottesdienst ankamen, bekamen wir nur noch den Segen mit - was heißt nur noch: das Wichtigste haben wir also immerhin abbekommen... –, weil ich die falsche Zeit im Kopf hatte: Der Gottesdienst fängt nicht erst um 11, sondern schon um 10:30 an. Am Ausgang war der Propst ganz erleichtert: Sie hatten wohl Ausschau nach mir gehalten und sich gefragt, wo ich bleibe, weil sie mich begrüßen wollten. Das holen wir dann bei Gelegenheit nach, wenn Katja auch hier ist.
Aber es war natürlich keineswegs vergeblich, dass wir gekommen waren. So konnte ich Melanie [Mordhorst-Mayer, Studienleiterin von Studium in Israel] begrüßen und erste Verabredungen treffen.
Danach haben wir Humus auf dem Dach des Restaurants im Muristan (dem Viertel, in dem die Erlöserkirche liegt) gegessen mit dem grandiosen Blick auf den Tempelberg/Haram-asch-Scharif (ich werde das in Zukunft abkürzen mit Temp/Hasch – bei aller politscher Korrektheit muss es doch auch schnell gehen...). Danach in die Neustadt auf einen Kaffee zu Tmol Schilschom, der Kneipe der Jerusalemer Boheme.
Und dann waren wir auf einen weiteren Kaffee bei Jehojada Amir im Hebrew Union College (bekanntermaßen abgekürzt HUC). Er ist so liebenswürdig und hatte tausend Ideen und Kontakte zu den Reformgemeinden im Norden und zum Leo-Baeck-College undundund. Damit allein könnte man ein Studienprogramm füllen. Ich freue mich jedenfalls schon auf viele interessante neue Bekanntschaften.
Danach wieder in die Altstadt – erst ein kleines Päuschen im Garten des österreichischen Hospizes. Draußen sang grad der Muezzin vom Minarett der direkt benachbarten Moschee mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzem Gemüt und vor allem mit aller Kraft (unterstützt von einer phonstarken Lautsprecheranlage...), drinnen klang aus den Lautsprechern dezent beschwingte Mozartmusik...
Danach hatten wir ein Treffen mit Jonas von EAPPI (Ecumenical Accompaniment Programm for Palestine and Israel). Sie haben wunderschöne Büros in einem Gebäue im Innenhof des Konvents von St. Anna – direkt neben dem Teich Bethesda. EAPPI ist ein Programm des ÖRK, das in Reaktion auf die Bitte der palästinensischen Kirchen um Beistand gegründet wurde. 30 Freiwillige aus aller Herren Länder wohnen für drei Monate an sieben Orten in Ostjerusalem und der Westbank und begleiten die Palästinenser_innen an Checkpoints, auf dem Weg durch die Tore in der Mauer/dem Zaun auf ihre Felder, auf dem Schulweg und versuchen durch ihre Anwesenheit Übergriffe von Siedlern und israelischem Militär zu begrenzen. Und sie sollen v.a. nach ihrer Rückkehr von dem berichten, was sie gehört und gesehen haben.
Jonas und seine Kollegin Tuulia koordinieren die Arbeit der EAPPI-Volontäre. Sie sind ebenso wie Katja und ich von Brot für die Welt vermitteltes Personal – daher gehören wir zusammen, umso mehr, als Katja seit Jahren den Teil der Vorbereitung der deutschen Volontäre gemacht hat, in dem es um den Zusammenhang von deutscher Geschichte und Nahostkonflikt geht und darum, dafür die nötige Sensibilität zu entwickeln. Jonas wird demnächst mit einigen der EAPPI-Volos nach Nes Ammim kommen und unseren Volos von EAPPI erzählen.
Seine Kollegin Tuulia hat übrigens gerade Einreiseverbot nach Israel. Bei einem der Gespräche, die die israelischen Sicherheitsbehörden manchmal mit Aus- oder Einreisenden führen (sie nennen es „psycholigical profiling“ und halten sich viel darauf zugute, wie effektiv das für die Sicherheit der Flüge sei; unsere Jael (eine bekanntermaßen ganz Gefährliche...) kann da ein Lied von singen, wie es bei ihrer Ausreise nach ihrem Dienst mit ASF war; mich fischen sie immer mal raus, weil sie den in meinem Pass vermerkten Geburtsort Beirut interessant finden – sie fragen dann immer, ob ich n och Kontakte in Beriut habe; jetzt könnte ich ihnen ja tatsächlich mal anbieten, die Telefonnummer von Juju aufzuschreiben, wenn sie mal eine Übernachtung in Beirut brauchen...). Tuulia drehten sie einen Strick aus einer Fangfrage: Ob sie schon mal gesehen habe, wie israelisches Militär Tränengas einsetzt – was sie wahrheitsgemäß bejahte, woraus sie den Vorwurf machten, sie habe sich an einer gewalttätigen Demonstration beteiligt. Der Widerspruch beim israelischen Außenministerium läuft noch. Auch andere Volontäre von EAPPI wurden schon zurückgewiesen – unter fadenscheinigen Vorwänden. Das ganze Programm ist den israelischen Sicherheitskräften natürlich ein Dorn im Auge, und es gibt auch politische Kräfte, die im Zusammenhang des ohnehin steigenden Drucks auf inländische und ausländische NGOs, die sich kritisch mit der Siedlungspolitik beschäftigen, auch versuchen, EAPPI das Leben schwer zu machen.
Auf dem Rückweg habe ich dann ein Foto von dem Haus gemacht, das Ariel Scharon unter großem Tamtam zu Chanukka 1987 bezogen hatte. Er mochte ja bekanntlich provokative Gesten – in „guter“ Erinnerung ist z.B. sein „Besuch“ auf dem Temp/Hasch im Jahr 2000 kurz vor Beginn der zweiten Intifada... Inzwischen – so erzählte mir nachher Schmuel – hat in dem Haus eine Jeschiva ihren Sitz. Sie haben es mit einem riesigen Banner dekoriert, auf dem sie den darunter vorbeilaufenden Palästinens_innen den Vers 4. Mose 23,24 vor die Nase halten: „Ja, das Volk wird aufstehen wie ein junger Löwe, wie ein Löwe wird es sich erheben.“ Im Zusammenhang der Bileam-Perikope – und auf dem Hintergrund seiner Entstehungszeit im Exil – ist das ein Hoffnungswort, dass das auf seinem Weg durch die Wüste erschöpfte und niedergeschlagene Volk Israel wieder zu Kräften kommen und sich aufrichten können soll. Als Banner an dieser Stelle soll es wohl wie eine Drohung klingen – aber Chaja, Schmuel und ich waren uns einig: Wer es nötig hat, so demonstrativ zu kraftmeiern, der versucht damit, eine große innere Schwäche und Angst zu überdecken...
Tobias Kriener, September 2016
Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener