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Barkeeper
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 9. Kapitel
Tobias Kriener schreibt:
Während ich diese Zeilen schreibe, stehe ich hinterm Tresen der Bar, denn am heutigen Barevening habe ich Dienst – gemeinsam mit der bezaubernden Michelle. Jetzt gilt es Durchhaltevermögen zu zeigen, denn normalerweise endet diese Veranstaltung wohl nicht vor 2 Uhr! Immerhin habe ich die Kontrolle über die Mucke... Jetzt gibt's erst mal ein bisschen Till Brönner.
Der Morgen begann damit, dass ich endlich den Termin für das Negev-Seminar festmachen konnte. Das war eine echt orientalische Geschichte. Vor einer Woche oder so hatte ich mit Jussef gesprochen, dem alten Freund Nes Ammims, der immer das 3-tägige Negev-Seminar organisiert. Er wollte einen Termin mit einem Freitag, weil er in der Woche so viel unterrichten muss. Ich also in meiner Naivität zu Oranit, der Hotelchefin. Die hebt bei diesem Ansinnen theatralisch die Hände. Völlig unmöglich, am Freitag werden alle Volontäre im Hotel gebraucht. Außerdem war das noch nie so. Sie zeigt mir eine Übersicht in ihrem Computer aus dem letzten Jahr. Sie schlägt den 4. – 6. Dezember vor – Sonntag bis Dienstag.
Ich hab's in Rainers Unterlagen nachgeprüft: Es stimmt, das Negev-Seminar ging noch nie über einen Freitag. Ich also ein paar Tage später zurück zu Jussef. Der wiegt bedenklich den Kopf. Wir suchen nach Ausweichterminen. Er schlägt den 27. – 29. Dezember vor. Abgesehen davon, dass da Channukka ist – also auch Hochbetrieb im Hotel – passt mir das nicht, weil die Töchter dann da sind, bzw. Schuli am 27. wieder abreist, und Jael am 29. (Fürs nächste Jahr kann man das ja mal im Hinterkopf behalten, dann könnten die Töchter mit in den Negev fahren...) Wir blättern weiter im Kalender und finden nichts Passendes. Jussef gibt sich ganz verzweifelt: „Dann lass ich's bleiben. Ihr könnt einen anderen Guide suchen – ich bin euch nicht böse.“ Ich: „Nein, Jussef. Wir wollen keinen anderen Guide. Wir wollen dich – du bist doch unser Nachbar und Freund. Ohne dich können wir kein Negev-Seminar machen.“ Schließlich schlägt er den 6. – 8. Dezember vor, Dienstag bis Donnerstag – Kompromiss.
Ich am nächsten Tag in aller Frühe wieder zu Oranit. Erst ziert sie sich: „Da haben wir zwei Gruppen im Hotel.“ Ich: „Und am Sonntag bis Dienstag sind keine Gruppen da?“ Sie muss zugeben, doch, auch da sind Gruppen da. Also wird's der 6. – 8. Dezember. Jetzt geht's noch darum, wie viele Freiwillige dableiben müssen – aber da werden wir noch eine Regelung finden, dass alle mitkönnen, die wollen, denn das Negev–Seminar mit seinem „Million-Star-Hotel“, wie Jussef immer sagt, muss wohl eines der Highlights des Study Programms sein.
Und dann habe ich's endlich geschafft, bei Ha'aretz anzurufen. Eine komplizierte Geschichte. Sie waren alle supernett und freundlich am Telefon, aber sie können halt auch nix dran ändern: Nach Nes Ammim wird Ha'aretz nicht ausgetragen, sondern mit der Post geliefert; und die Post arbeitet nicht am Freitag! Also kriegt man die Wochenendausgabe erst am Sonntag. Und wie verbringt man dann das Wochenende????
Ich habe mich dann entschlossen: Für die Arbeit wird Ha'aretz englisch bestellt; und am Freitag fahre ich dann eben immer nach Regba, mir die hebräische Wochenendausgabe besorgen.
Nächstes Problem: Bezahlen! Mit Kreditkarte ginge das alles ganz einfach – aber da die Zeitung für das CLD (also die Arbeit) angeschafft wird, muss das über das Konto von Nes Ammim laufen. Also mussten sie bei Ha'aretz erst mal das passende Formular rauskramen und faxen. Bis es soweit war, war es 12:30 Uhr – und da erreicht man bei der Bank Misrachi niemanden mehr. Und morgen ist Ora, unsere Finanzfrau, nicht im Office. Also nächste Woche. Aber immerhin: Der Anfang ist gemacht – die Zeitung ist in Sicht und damit der Kontakt zur israelischen politischen Realität gemacht. Ohne das sitzt man nämlich hier in Nes Ammim wie auf einer Insel...
Inzwischen bin ich bei Slow Blues angelangt: Vielleicht gelingt es mir ja, die Volos zeitig einzuschläfern; die Bewohner, die aus dem neuen Wohnviertel gerne zum Barabend kommen, dürften nicht das große Problem darstellen, die müssen ja morgen wieder früh raus zur Arbeit...
1/2 Zwölf: Mittlerweile spielen die Volos wieder eines ihrer lustigen Saufspiele. Besteht doch Hoffnung auf ein frühes Ende? Ich stehe jetzt ganz allein an der Bar. Das nächste Mal nehme ich mir ein Buch mit...
1 Uhr früh: Inzwischen hatten wir noch eine nette kleine Diskussion über Drogen auf dem Balkon; und entgegen meiner Vorhersage sind die Volos alle weg (bis auf die treue Michelle, die mich nicht allein lassen will), während die Dorfbewohner mit Reint eine Partie Billiard nach der anderen spielen...
1:30: Jetzt haben Michelle und ich den Deal gemacht, dass ich noch hierbleibe, und sie dafür morgen die Bar noch fegt und wischt. Nebenan wird weiter munter das Queue geschwungen...
1:41: Jetzt haben sie genug. Noch die letzten Handgriffe, dann geht's ins Bett. Hat richtig Spaß gemacht!
Brainstorming - 9. November
Heute Morgen hat‘s geregnet! Und zwar richtig! Gestern hat man schon ein paar Nieseltropfen gerochen – aber heute hat's richtig geschüttet beim Frühstück. Leider hatte ich den Fotoapparat nicht dabei...
Dann den ganzen Tag dies und jenes.
Um 5 war eigentlich ein Brainstorming verabredet, um erste Ideen für die Gedenkveranstaltung zum 9. November zu sammeln. Erschienen sind genau 0 Volos. (Einer hatte immerhin dran gedacht und aus dem Dishwash immer um die Ecke geguckt, um zu sehen, ob sich was tut.) Für mich ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass "Kristallnacht" und Gedenken für die Jugendlichen unendlich weit weg ist. Hier sind sie vollauf damit beschäftigt, das heutige Israel zu erkunden. Vielleicht hätten sie einen Sinn für so ein Ansinnen, wenn wir in einem halben Jahr Lochamei HaGetaot und Jad –VaShem besucht haben werden - und wenn sie mehr mit Israelis gesprochen haben werden. Nach weniger als einem Monat im Land ist eine Gedenkveranstaltung nach deutschem Muster einfach nicht dran.
Natürlich werde ich die Tradition nicht eigenmächtig abbrechen, sondern eine Gedenkveranstaltung durchführen. Aber dem BoD werde ich, wenn es im November hier ist, ans Herz legen, sich grundlegende Gedanken zu machen.
Danach war dann Kabbalat Schabbat; erstmals habe ich – mit tatkräftiger Unterstützung von Tabea – die Zeremonie, so wie sie sich in Nes Ammim entwickelt hat, angeleitet. Es war schon ein seltsames Gefühl, die Segensworte, die sonst der jüdische Hausvater – oder die Hausmutter – spricht, zu sprechen, und kräftig den Gesang von Lecha Dodi anzuführen. Hm, mal sehen, was daraus auf Dauer wird...
Danach habe ich noch Simon beim Spülen geholfen. Es war sehr nett mit ihm. Aber mit der Musik - das haben wir längst nicht so gut auf die Reihe gekriegt wie Norman.
Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, September 2016
Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener