Dystopie
Ein Topos feiert Urständ und darf in keiner sich avantgardistisch fühlenden Kultursendung fehlen: die Dystopie. Dabei droht die alte Topographie des Geistes unübersichtlich zu werden, zumal das Wort den Anschein erweckt, etwas Neues zu bezeichnen.
Ist Topos ein Ort, so sind Utopie & Pantopie in gedanklicher Hinsicht die Orte Nirgendwo & Überall, während Eutopie & Kakotopie in wertender Hinsicht die Orte Schönhausen & Schlimmplatz sind, Orthotopie & Dystopie aber in funktionaler Hinsicht die Orte Wohlstand & Misstand. Topologisch sind also nicht Utopie & Dystopie der Gegensatz, und weder kann man, wie man hört, eine Utopie verwirklichen, denn sie ist nur eine gedankliche Übung, die besserer Erkenntnis dient, noch kann man mit einer Dystopie verstören, denn sie macht nur das Missliche sichtbar, das man längst sehen kann, aber meist nicht sehen will.
Dass Missliches wirklich ist und täglich geschieht, steht mir allerdings täglich vor Augen, wenn ich sie nur aufmache: Der SUV zum Beispiel, der Falsches und zu viel davon verbrennt, hoch ist wie eine Kutsche, aber ohne Ross, bullig wie ein Panzer, aber ohne Krieg, der in keine Parklücke passt und vor dem Kiosk das Trottoir versperrt, ist dystopisch. Die Utopie einer Welt ohne SUVs freilich könnte dazu führen, einfach besteigbare, handlich zu bewegende, energiearme, aggressionslose und narzissmusbefreite Fortbewegungsmittel zu entwickeln. Am liebsten eutopisch und pantopisch.
MK