1. Zur Entstehung des Heidelberger Katechismus
2. Die Einleitung
3. Über den Menschen
4. Christus, der Mittler
4.1 Von Gott, dem Vater
4.2 Von Gott, dem Sohn
4.3 Von Gott, dem Heiligen Geist
4.4 Die Sakramente
5. Von der Dankbarkeit
6. Auswirkungen und Folgen
Lesungen aus dem Heidelberger Katechismus (HK) als Bestandteil reformierter Gottesdienste sind weit verbreitet. Die Gottesdienstgemeinde hört jeweils zu Beginn ein oder zwei Fragen und Antworten aus „dem Heidelberger;“ ausgehend von einer vom Reformierten Bund vorgeschlagene Verteilung der Fragen und Antworten auf die Sonntage im Kirchenjahr.
Diese Lesungen erinnern daran, dass in früheren Zeiten zwei Sonntagsgottesdienste üblich waren: Einer zu einem Bibeltext und einer zu einem Abschnitt des Heidelberger, der dafür in 52 Sonntage eingeteilt ist. In vielen reformierten Kirchen ist dieses bis heute gängige Praxis.
Katechismusgottesdienste sind bei uns schon lange nicht mehr üblich – wer käme schon zwei mal am Sonntag zur Kirche! Denen, die im Konfirmandenunterricht Katechismusfragen und –antworten gelernt haben, wird manches aus dem „Heidelberger“ bekannt sein, und wenn die Lernerei oft auch eine Quälerei war, ist der eine oder andere Satz doch zu einem Begleiter durchs Leben geworden.
Allerdings: Seit die erste Ausgabe 1563 erschien, hat sich vieles geändert – von Sprache und Ausdrucksweise bis hin zu Lebensfragen. Daran ändert zwar die 1997 sprachlich überarbeitete Version ein wenig, trotzdem wirkt manches heute veraltet, anderes schwer verständlich.
Manche Begriffe, die der HK gebraucht, müssen wir heute in Anführungszeichen setzen und als Metaphern lesen, als Ausdrücke, die für ein bestimmtes Verhalten, ein bestimmtes Phänomen stehen. In der lutherischen wie in der Schweizer Reformation spielt die Frage nach Sünde und Sündenvergebung eine weit größere Rolle als heute. Das liegt einerseits an veränderten Einstellungen zum Leben und an veränderten Vorstellung für die Zeit danach.
Andererseits liegt das auch an dem Anspruch der katholischen Kirche, die „allein selig machende“ zu sein und exklusiv über „Gnadenmittel“ zu verfügen, auf die Gläubige angewiesen seien und die sie erwerben können (Ablass) – und an der damit (und dafür) erzeugten Angst vor „Fegefeuer“ und „Höllenstrafen“. Dem setzt Luther die „Rechtfertigung (den Freispruch) allein aus Gnade“ entgegen, wobei er den Menschen als „zugleich Sünder und Gerechter“ sieht. Bei Luther dienen die Gebote dazu, den Menschen als Sünder zu überführen, damit er um so mehr der Gnade Gottes zu vertrauen lernt.
Calvin verweist darauf, dass die Erlösung (Befreiung) von Sünde und Gesetz mit und durch Christus bereits und endgültig geschehen ist – wofür der Mensch mit entsprechender Lebensführung und –gestaltung reagiert. Die Gebote sind dafür die (hohe) Messlatte.
Heute fragen Menschen eher nach dem Sinn ihres Erdenlebens, fragen statt nach der „Rechtfertigung vor Gott“ eher nach Gerechtigkeit auf Erden, statt nach einem „seligen Ende“ eher nach zufriedenem Leben. Geblieben ist, dass der Heidelberger deutlich macht: Der Glaube hilft nicht nur, das Leben zu meistern – vielmehr befreit er zum Leben. Denn er nimmt die Angst vor dem Tod (wenn auch nicht die Angst vor qualvollem Sterben).
Im Jahre 1559 trat Kurfürst Friedrich von der Pfalz (nicht der berühmte Trinker, sondern der Dritte) sein Regierungsamt über die damals recht bedeutende Pfalz an. Sein Vorgänger im Amt hatte nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 lutherische Theologen ins Land geholt, war jedoch mit der Einführung der Reformation nicht vorangekommen. Gleichzeitig hatte die Schweizer Reformation Zwinglis und Calvins zahlreiche Anhänger gefunden.
Friedrich III war streng katholisch erzogen, seine Frau, eine Brandenburger Markgrafentochter, war evangelisch. Sie regte ihren Mann zum Bibellesen an, was der auch erst brav, dann eifrig tat. Sehr bald sah er sich der Aufgabe gegenüber, für sein Land die Richtlinien des Glaubens zu bestimmen. Denn weil sein Vorgänger die Reformation weder flächendeckend noch einheitlich eingeführt hatte, gab es nebeneinander lutherische und reformierte Gemeinden, deren Mitglieder zu großen Teilen noch katholisch aufgewachsen waren. Folglich war das Land zerstritten und die Bevölkerung verwirrt.
Um Klarheit zu schaffen und mit der guten Absicht, einen für Lutheraner wie für Reformierte gleichermaßen annehmbaren Katechismus zu schaffen, berief Friedrich III eine Reihe namhafter Professoren an die Heidelberger Universität, darunter zwei junge Theologen: Den aus Breslau stammenden Zacharias Ursin, ganze 28 Jahre alt, der in Wittenberg bei Luthers engstem Mitarbeiter Melanchthon und bei Calvin in Genf studiert hatte. Calvin und Melanchthon waren übrigens dauerhaft eng befreundet und standen sich theologisch in vielem recht nahe. Der zweite Berufene war Caspar Olevian aus Trier, gerade mal 26 Jahre alt, Freund eines Sohnes Friedrichs III und Schüler Calvins. 1561 traten beide ihre Lehrtätigkeit in Heidelberg an, Olevian war gleichzeitig Hofprediger.
1562 begannen die beiden im Auftrag ihres Kurfürsten mit der Arbeit an einer “festen Grundlage biblischer Glaubenserkenntnis,“ zogen dabei den Zürcher und den Emdener Katechismus ebenso zu Rate wie den Londoner und den Genfer und natürlich Luthers Kleinen Katechismus wie auch seinen Großen. Die Hauptarbeit leistete der Melanchthon-Schüler Ursin. Durch ihn kamen manche Gedanken Luthers – durch Melanchthons Brille gesehen – in den Katechismus. Gelegentlich nahm auch Friedrich III an den Besprechungen teil, und vermutlich wurden auch weitere Professoren zu Rate gezogen.
Über die Gliederung war man sich bald einig: Ein erstes Kapitel sollte von der Gottesferne des Menschen handeln und davon, dass ein Leben ohne Schuld nicht möglich ist, kurz: Von des Menschen Elend. Dann sollte von der Versöhnung mit Gott durch Jesus Christus die Rede sein und davon, dass der Mensch trotz und mit seiner Schuld leben kann und darf, von der Erlösung also. In einem dritten und letzten Kapitel schließlich sollten die Menschen dazu aufgefordert und daran erinnert werden, in Gedanken, Worten und Werken für ihre Erlösung aus dem Elend in Dankbarkeit zu leben.
In jedem Gottesdienst sprechen wir – als Bekenntnis unseres nach Gottes Wort reformierten Glaubens - gemeinsam Frage und Antwort Eins des HK. Es handelt sich hier quasi um die Überschrift oder das Motto, worin die Autoren den ganzen Katechismus zusammenfassen:
Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst.
Und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.
Darum macht er mich auch durch seinen heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, forthin ihm zu leben.
Die Frage geht von Trostlosigkeit, von Verlassenheit in der Gottesferne aus – wobei „Trost“ damals eher „Zuversicht, Vertrauen“ bedeutete: Worauf kannst du dich unbedingt verlassen? Eine Frage, die sich auch heute mancher stellt. Denn zu oft haben wir erlebt, dass auf Menschen, Organisationen oder Ideologien wenig bis gar kein Verlass ist.
Die Antwort erinnert in ihrem ersten Teil an das dem einzelnen Menschen unmittelbar, also ohne kirchliche „Gnadenmittel“ geltende Erlösungswerk Christi: Er hat von Gesetz und Sünde befreit! Daraus ergibt sich - im zweiten Absatz - zuversichtliche Gelassenheit im Blick auf das eigene Leben und Sterben. Denn nichts und niemand kann die durch Christus geschehene Befreiung gefährden oder gar rückgängig machen.
Der letzte Abschnitt benennt als Folge die geistgewirkte Willigkeit und Bereitschaft zu Gott gefälligem Leben, und zwar „forthin.“ Hier geht es also nicht um Bekehrung, sondern darum, den begonnenen (und durch Christus ermöglichten) Weg fortzusetzen. Zudem ist die Antwort „trinitarisch“ (Gott Vater – Sohn – Heiliger Geist) aufgebaut, wenn auch in der etwas ungewöhnlichen Reihenfolge: Christus als Erlöser – Gott Vater als Bewahrer – der Heilige Geist als Beistand.
Die Antwort auf die folgende Frage 2 nach dem, was zu wissen nötig ist, um in diesem Trost, diesem Vertrauen leben und sterben zu können, stellt eine Art Inhaltsverzeichnis dar, nämlich: „Erstlich, wie groß meine Sünde und Elend sei; zum anderen, wie ich von allen meinen Sünden und Elend erlöst werde; und zum dritten, wie ich Gott für solche Erlösung soll dankbar sein.“
Einsicht – Hilfe – Dank lautet also der Dreischritt, den der HK in den folgenden 127 Fragen und Antworten gehen will, ein Weg, der in seiner Schrittfolge leicht nachzuvollziehen ist. Jede Antwort ist mit Verweisen auf Texte des alten wie des neuen Testaments untermauert. Dabei ist heute zu berücksichtigen, dass unser Denken sich - etwa durch die Aufklärung, aber auch durch alt- und neutestamentliche Forschung - seit damals erheblich geändert hat.
Der erste Teil „von des Menschen Elend“ beschreibt den „natürlichen“ Menschen, stellt also eine Anthropologie dar: Am Doppelgebot der Liebe, nämlich Gott und den Nächsten wie sich selbst zu lieben, erkennt der Mensch, dass er von Natur aus (also nach dem „Sündenfall“) dazu nicht in der Lage ist und folglich für „angeborene und wirkliche Sünden“ Strafe zu erwarten hat, wie Gott sie in seiner Gerechtigkeit fordert. Zwar hat Gott den Menschen gut geschaffen (Frage 6), doch durch die Sünde ist der Mensch verdorben (Frage 7) und nur durch eine „Wiedergeburt durch den Geist Gottes“ zum Guten zurückzuführen (Frage 8). Allerdings verlangt (Frage 11) Gottes Gerechtigkeit nach Strafe. Diese besteht in „ewiger Verdammnis,“ woraus die Volksfrömmigkeit „Hölle“ gemacht hat.
Doch Gottes Gerechtigkeit ist kein „Wie du mir, so ich dir.“ Vielmehr ist damit Gottes unbedingte Treue zu dem Bund gemeint, den er mit seinem Volk geschlossen hat. Die Frage, wie Gott all das Böse und Schlimme in der Welt zulassen könne, betrifft nicht seine Gerechtigkeit und kann eigentlich gar nicht gestellt werden. Nach den Vorstellungen der Autoren das HK kommt das Böse von dem Bösen, dem „Teufel“ bzw. aus der Sündhaftigkeit des Menschen.
Um die Bedeutung Jesu Christi als Mittler zwischen Gott und Mensch geht es in diesem umfangreichsten Abschnitt, in dem das Apostolische Glaubensbekenntnis erklärt wird, die Taufe, das Abendmahl und die Buße.
Zunächst stellt der HK fest, dass Gottes Gerechtigkeit „Bezahlung“ verlangt, der Mensch aber weder für sich selbst noch für andere ein hinreichend großes Bußgeld bezahlen kann. In dieser Feststellung steckt eine Kritik an dem, was die katholische Kirche den sogenannten „Heiligen,“ aber auch anderen Menschen wie z. B. Priestern zuschreibt: Dass sie zwischen Gott und Menschen vermitteln könnten. Als Mittler und Erlöser bedarf es (Frage15) eines „wahren und gerechten Menschen, der zugleich wahrer Gott“ ist - Jesus Christus.
Hier entsteht eine gewisse Spannung: Zum einen gilt, dass Christus alle Menschen erlöst hat, zum anderen wirkt (Frage 20) die Erlösung nur bei denen, die Christus im Glauben „eingeleibt“ sind; Leib Christi ist die christliche Gemeinde. „Glauben“ definiert der HK in Frage und Antwort 21 zunächst als „gewisse (= sichere) Erkenntnis“ des in der Bibel Alten und Neuen Testaments „Geoffenbarten,“ fragt also nach dem Sinn biblischer Texte und klammert sich nicht an deren Wortlaut. Damit baut der HK Differenzen und Kontroversen zwischen Naturwissenschaften und Theologie vor, denn naturwissenschaftliche Erkenntnisse können den theologischen Gehalten biblischer Texte nichts anhaben und Glaubenserkenntnisse naturwissenschaftliche Forschung nicht beeinflussen.
Des weiteren versteht HK 21 unter Glauben ein „herzliches Vertrauen,“ von Gottes Geist durch das Evangelium gewirkt. Herz und Verstand also sind gleichermaßen am Glauben beteiligt bzw. vom Glauben angesprochen. Es gab Zeiten, in denen Glauben auf Gefühl reduziert wurde, und es scheint, diese Verkürzung erlebt zu unserer Zeit eine Auferstehung. Anders lässt sich kaum erklären, dass heutige Gottesdienste häufig nur das Gefühl ansprechen und nicht auch den Verstand. Das andere Extrem allerdings ist nicht minder bedenklich; Geist und Seele brauchen beide ihre Nahrung wie auch der Körper.
In den Fragen 23 bis 64 folgt das Apostolische Glaubensbekenntnis mit ausführlicher Erklärung. Bemerkenswert ist hier, dass sowohl der erste Artikel von Gott, dem Schöpfer, als auch der dritte vom Heiligen Geist von Christus als dem Mittler her gedeutet werden: „Um seines Sohnes Willen“ ist Gott „mein Vater“ (Frage 26), der alles erhält und regiert (Frage 27).
Diese Frage handelt von der „Vorsehung“ Gottes, der seine Schöpfung erhält, indem „Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, ... Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut ... von seiner väterlichen Hand uns zukomme.“ Die hier genannten Gegensatzpaare sind auf dem Hintergrund von HK 1 zu lesen, dass „mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss“ und stehen im Zusammenhang in HK 28, dass nichts „uns von der Liebe Gottes trennen kann,“ Armut ebenso wenig wie Reichtum usw.
„Vorsehung“ ist ein im Nationalsozialismus missbrauchter Begriff und dadurch in Misskredit geraten. Der Heidelberger meint damit: Gott hat vorgesehen, dass „keine Kreatur uns von seiner (Gottes) Liebe trennen kann“ (HK 28) – weil er um Christi Willen seinem Bund treu bleibt. Bei „Kreatur“ mag man an Menschen, aber auch an von Menschen geschaffene Ideologien denken, die solche Trennung von Gottes Liebe im Programm hatten und haben. Ihr Wollen ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, was aber lange dauern kann.
Nur diese drei Fragen und Antworten beschäftigen sich mit dem ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses, die nächsten 23 interpretieren den zweiten.
Der ganze Abschnitt „Von Gott dem Sohn“ unterscheidet sich eher durch seine Länge als durch seine Inhalte von den Erklärungen in Luthers Kleinem Katechismus – wie könnte er auch! Orientieren sich beide doch stark an der Erlösungstheologie des Apostels Paulus, die dieser in seinen Briefen nach und nach entwickelt und im Römerbrief abgeschlossen hat. Die paulinische Erlösungstheologie stand in der Reformationszeit krasser noch als heute im Gegensatz zu katholischer Lehre und Praxis: „Allein aus Gnaden,“ sagt Paulus und „nur durch die Gnadenmittel unserer Kirche“ der Katholizismus.
Einleitend stehen Frage und Antwort 32: Warum wirst du ein Christ genannt? Der HK fragt nicht, ab wann ich ein Christ genannt werde (ab der Taufe bei Katholiken und Lutheranern, ab einer erlebten Bekehrung bei manchen Freikirchen), sondern er fragt nach dem Warum und antwortet recht lapidar: „Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi bin.“
Der Glaube hängt mithin weder von einem Ritual ab noch von einem mit Datum und Uhrzeit zu benennenden Erlebnis; Glaube findet seinen Ausdruck im Bekennen, im Dankopfer und im Kampf gegen Sünde und Teufel, um an Gottes Herrschaft teilzuhaben. Diese drei Tätigkeiten zählt der HK zu den Ämtern der Gemeinde; sie entsprechen dem dreifachen Amt Christi als Prophet (Verkündigung), Priester ((Selbst-)Opfer) und König (Kampf und Herrschaft) Wenn in Frage 86 „gute Werke“ genannt werden, sind diese drei Ausdrucksweisen des Glaubens mitzudenken.
Glaube aber, die Gewissheit unseres Erlöstseins also, unseres Befreitseins von Gesetz und Sünde, zu akzeptieren und zu verinnerlichen, fällt uns oft schwer. Wie wir uns selbst sehen und erleben, steht dem entgegen. Zu gern richten wir uns einerseits bequem nach sogar antichristlichen Vorgaben und ziehen bei Gegenwind den Kopf ein, anstatt mutig zu bekennen. Andererseits erwarten wir angemessene Strafe für Verfehlungen, bestrafen uns gar selber, wenn die erwartete Strafe ausbleibt.
Auffällig oft werden die „zwei Naturen“ Christi betont: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Dahinter verbirgt sich ein uralter Streit von Dogmatikern, ob Jesus Mensch, Gottmensch oder Gott gewesen sei. Etwa ab dem fünften Jahrhundert hat die „Zweinaturenlehre“ sich durchgesetzt, eine Kompromissformel, die allerdings die Kirche zusammenhalten konnte. Spätere Kirchenspaltungen (Orthodoxe und Römer 1054, die Reformation im 16. Jahrhundert und andere) erfolgten aus anderen Gründen.
„Trost aus der Hölle“ verspricht HK 44: Weil Christus alles erlitten hat, was es an Qualen für Leib und Seele gibt (Todesangst!), kann ich mich darauf verlassen, seit Golgatha von höllischen Ängsten und Schmerzen erlöst zu sein. Erlöst – nicht befreit: Aber auch in tiefsten Tiefen des Zweifels und der Verzweiflung gehalten und getragen im Sinne von HK1.
Eng verbindet der Abschnitt „Von Gott dem Sohn“ Rechtfertigung mit Heiligung. Mit Rechtfertigung ist gemeint, dass wir „durch Christus“ zu bündnistreuen Partnern des Bundes Gottes mit seinem Volk geworden sind. Zwar hält Gott „Bund und Treue ewiglich,“ doch der Mensch ist „von Natur aus geneigt, Gott und seinen Nächsten zu hassen“ (HK 4), wird also immer mal wieder vertragsbrüchig. Christus aber hat den Bund „unverbrüchlich“ auch für den (glaubenden) Menschen gemacht.
Dieser reagiert darauf mit dem entsprechenden Verhalten, der „Heiligung,“ sodass er „mit aufgerichtetem Haupt“ (HK 52) vor Gott treten kann. Dazu „gießt Christus durch seinen Heiligen Geist ... himmlische Gaben in uns aus“ (HK 51): Auch die Heiligung als Reaktion auf die Rechtfertigung ist Werk und Gabe Christi. Damit leitet der HK zum dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses über: Von Gott dem Heiligen Geist.
Während im Kirchenjahr die großen Feiertage Weihnachten und Ostern mit allerlei Sitten und Bräuchen gefüllt sind, bleibt Pfingsten als das Fest des Heiligen Geistes merkwürdig leer. Im HK wird es beim Heiligen Geist recht konkret:
Der Heiligen Geist weckt den Glauben, durch den „ich an allen Wohltaten Christi“ teilhabe (HK 53) und durch den Christus seine Kirche (= Gemeinde) „versammelt, schützt und erhält“ (HK 54). Die Mitglieder der Kirche bewegt der Heilige Geist, ihre „Gaben zu Nutz und Heil der anderen Glieder willig und mit Freuden anzulegen“ (HK 55).
Zu Nutz und Heil, und in dieser Reihenfolge: Man kümmert sich darum und sorgt zunächst dafür, dass kein Gemeindeglied unter materiellem Mangel leidet. Erst nach behobenem Mangel ist der Mensch bereit und in der Lage, sich auch um sein Heil zu kümmern, ist er offen für die Botschaft des Evangeliums. Jedes Gemeindeglied trägt also – seinen Gaben und Begabungen entsprechend – Verantwortung für „Nutz und Heil“ der anderen.
Das bedeutet auch, dass jedes Gemeindeglied sich bei materieller oder seelischer Not an jedes andere Gemeindeglied wenden darf und kann. Diakonie und Seelsorge als Aufgabe, als Amt der Gemeinde – wie auch eines jeden ihrer Mitglieder. Dies ist auch deshalb möglich, weil durch Christus eine (zumindest damals) große Sorge völlig überflüssig geworden ist: HK 56 stellt fest, „dass ich ins Gericht (Gottes) nimmermehr soll kommen.“
Die Fragen und Antworten 59 und 60 unterstreichen noch einmal die geschehene Erlösung des Menschen aus dem Elend. Solche Gewissheit macht frei für die Nöte anderer. Auf die Gefahr, dass solche Gewissheit sorglos machen könnte, antwortet HK 62 – schon auf das Kapitel von der Dankbarkeit hinweisend – dass ein glaubender Mensch darauf nur und ausschließlich mit Früchten der Dankbarkeit reagieren kann.
Hier schließt der Heidelberger nun die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl an. Sakramente sind als „sichtbare Wahrzeichen und Siegel“ (HK 66) der geschehenen Erlösung definiert, woran sie „erinnern und (derer sie) vergewissern.“ Sie dienen dazu, die Verheißung des Evangeliums besser zu verstehen. Damit nimmt der Heidelberger den Sakramenten alles Geheimnisvolle, Mystische; das Taufwasser ist und bleibt Wasser, H2O, die Abendmahlselemente sind und bleiben Brot und Wein und nichts anderes.
Die Taufe, ein „äußerliches Wasserbad“ (HK 72), wird mit dem Taufbefehl Mt 28 begründet, die Taufe von Kindern ausdrücklich bejaht, „weil sie in den Bund Gottes und seine Gemeinde gehören“ (HK 74); die Taufe wird als Zuspruch der geschehenen Erlösung sowie als Aufnahme in den Bund Gottes und in die Gemeinde gesehen. Da die Taufe – wie auch das Abendmahl – nicht „heilsnotwendig“ ist, erübrigen sich „Nottaufe“ und „Krankenabendmahl.“
Zum Abendmahl werden nicht die Einsetzungsworte nach Mt 26 zitiert, die als einzige der vier neutestamentlichen Versionen das Abendmahl mit Sündenvergebung verbinden. Vielmehr beruft der Heidelberger sich auf 1. Kor. 11 und damit auf die älteste Version der Einsetzungsworte: Nicht im oder gar durch das Abendmahl werden Sünden vergeben, sondern sie sind es bereits durch den Opfertod Christi (Frage 80). Daran erinnert, darin vergewissert das Abendmahl die Teilnehmenden wie auch die Zuschauenden: „Solches tut zu meinem Gedächtnis.“ Denn im Gedenken verbindet sich das Erinnerte mit mir und wirkt auf mich ein.
Am Abendmahl darf bzw. soll teilnehmen, wer sich als Sünder erkannt hat, auf die geschehene Erlösung durch Christus vertraut, Stärkung seines Glaubens erhofft und sein Leben zu bessern gedenkt (HK 81). Der Heidelberger setzt also ein hohes Maß an Fähigkeit zur Selbstreflexion voraus, um am Abendmahl teilzunehmen, und wer das nicht aufbringt, „der isst und trinkt sich selbst zum Gericht“ (ebd.) Damit setzt der HK auf Selbstverantwortung der Gemeindeglieder, zieht aber auch eine Grenze etwa im Blick auf kleine Kinder.
Die Mitgliederversammlung des Reformierten Bundes hat übrigens vor etlichen Jahren einen das katholische Abendmahlsverständnis verurteilenden Passus („vermaledeite Abgötterei,“ ein Ausdruck Luthers) aus der Antwort auf Frage 80 relativiert. Dies bedeutet, dass wir inzwischen das katholische Abendmahlsverständnis als ein mögliches anerkennen – und umgekehrt Entsprechendes erwarten.
Auf Taufe und Abendmahl folgen Fragen und Antworten zum „Amt der Schlüssel,“ u. a. mit Mt 16, 19 (Petrus) begründet, doch wenn von einem „Amt“ die Rede ist, handelt es sich um Aufgaben der Gemeinde: Ihre Aufgabe bzw. die ihres Leitungskollegiums ist es, solche Menschen, die „unter dem christlichen Namen unchristliche Lehre oder Wandel führen,“ geschwisterlich zu vermahnen, sie ggf. vorübergehend vom Abendmahl auszuschließen und sie wieder anzunehmen, wenn sie „wahre Besserung verheißen“ d. h. versprechen.
Der (früher) oft gehörte Vorwurf, die reformierte Praxis der Kirchenzucht (zeitlich begrenzter Ausschluss von Abendmahl) schlösse von der Vergebung der Sünden aus, trifft daneben. Denn die Vergebung ist ein für alle mal durch Christus geschehen, hängt also weder von Taufe oder Abendmahl ab noch von sonstigen kirchlichen Sitten und Gebräuchen.
Ein dem Glauben gemäßes Leben, Heiligung also, ist das Thema des letzten Kapitels des Heidelberger Katechismus. Die „krumme“ Zahl von 129 Fragen und Antworten zeigt, dass in deren Anzahl keinerlei tiefere Bedeutung, Zahlensymbolik oder gar Zahlenmystik verborgen liegt.
Im dritten Kapitel geht es zunächst um gute Werke, die nötig sind, weil sie 1. Zeichen der Dankbarkeit für die Erlösung aus dem Elend sind, 2. der Mensch aus seiner Fähigkeit zu guten Werken sich seiner Erlösung gewiss werden kann, und sie 3. ein probates Mittel zur Mission darstellen (Frage 86).
Gute Werke sind vor allem das Bekennen, das Dankopfer und der Kampf gegen Sünde und Teufel (HK 32), das Halten der Gebote Gottes und das Beten. Zweck der Dankbarkeit ist, Gott zu preisen, und dazu zählt auch das Singen von Psalmen. Letztlich ist alles, was „aus wahrem Glauben nach dem Gesetz Gottes ihm zu Ehren“ (HK 91) getan wird, Ausdruck von Dankbarkeit und somit ein gutes Werk.
Die ab HK 91 folgenden Gebote werden in ihrer biblischen Zehnzahl, zu der auch das Verbot der Bilderverehrung gehört, ausführlich erklärt. In ihnen ist uns gesagt, „wie wir uns gegen Gott sollen halten“ und „was wir unserem Nächsten schuldig sind“ (HK 94). Wieder geht es um Vertrauen („Trost“) auf Gott, um „Gottes Ehre und des Nächsten Heil“ (HK 101), und auch dessen „Nutz,“ sein Wohl, kommt wieder in den Blick (z. B. HK 107 und 111).
Wie auch Luthers Kleiner Katechismus stellt der Heidelberger fest, dass die „zu Gott Bekehrten“ die Gebote nicht „vollkömmlich“ halten können. Anders als Luther sieht der Heidelberger aber die Möglichkeit, „mit ernstlichem Vorsatz ... nach allen Geboten Gottes zu leben“ anzufangen (HK 114), bis „das Ziel der Vollkommenheit nach diesem Leben“ erreicht ist (HK 115). Diese Möglichkeit zu nutzen, ist ein Wirken des Geistes Gottes.
Auch das Beten ist Ausdruck von Dankbarkeit, und zwar deren „vornehmstes Stück“ (HK 116). So schließt der HK mit Fragen und Antworten zum Unser-Vater, verbindet darin „Geistliches“ und „Irdisches“ als zueinander gehörend. Dabei dient das Irdische dem Erkennen (der „Erkenntnis“) Gottes, wie andererseits das Geistliche uns die Augen dafür öffnet, im Irdischen Gott zu erkennen (z. B. HK 125).
Darin, dass das Unser-Vater am Schluss steht und der Katechismus mit „Amen“ endet, wird deutlich, dass wir unseren „einzigen Trost im Leben und im Sterben“ (HK 1) im Gebet erfahren und erkennen. Zugleich vergewissert das Amen uns, dass „mein Gebet viel gewisser von Gott erhört ist, als ich ... solches von ihm begehre“ (HK 129)
Es fällt auf, dass manche Ausdrücke und Wendungen immer wieder vorkommen und sich wie rote Fäden durch den Katechismus ziehen, z. B. „gewiss“ im Sinne von „sicher, bestimmt“ und der Hinweis auf die durch Christus bereits geschehene Erlösung. Dieses pädagogische Mittel der Wiederholung hilft einerseits, dass solche Ausdrücke und Wendungen sich am ehesten einprägen. Zum anderen drücken sie die theologische Grundlage aus, auf der alle Einzelfragen und –antworten beruhen. Sie ist in HK 1 zusammengefasst, wird dann Schritt für Schritt entfaltet und am Ende mit einem Amen bestätigt.
Im späten Herbst 1562 lud Kurfürst Friedrich von der Pfalz alle Superintendenten und bedeutenden Kirchendiener – so nannten sich die reformierten Pastoren damals, und „Kirche“ meint „Gemeinde“ – nach Heidelberg ein, um den Entwurf ausführlich zu diskutieren. Am 19. Januar 1563 unterschrieb der Kurfürst sein persönliches Vorwort, dann ging der Heidelberger Katechismus in Druck und verbreitete sich schnell.
Sein Ziel, einen Einheitskatechismus zu schaffen, hat Kurfürst Friedrich III allerdings verfehlt. Das liegt wohl daran, dass das Luthertum sich 1555 mit der „Confessio Augustana“ auf Luthers Theologie festgelegt hatte und weder Melanchthons noch gar Calvins weiterführenden Gedanken annehmen konnte und wollte. So wurde der Heidelberger zum Katechismus der Reformierten.
Lutheraner haben 1566 Friedrich III beim Kaiser angeklagt, gegen die Augsburger Konfession verstoßen zu haben. Er wurde nach Worms vor den Reichstag zitiert. Der Kaiser verlangte unter Androhung strengster Strafen, dass der Kurfürst seine Reformation zurücknähme und den Heidelberger Katechismus einstampfen ließe. Friedrich III stellte fest, dass es für ihn nur einen Herren aller Herren, einen König aller Königreich gäbe, dem er gehorche: Jesus Christus. Außerdem sei sein Katechismus unumstößlich, weil biblisch begründet. Da stand er nun und konnte nicht anders...
Und der Reichstag konnte nicht anders, als das zu respektieren – sicherlich auch deshalb, weil Friedrich III ein Kurfürst und nicht irgend ein Mönchlein aus Wittenberg war. Der Kurfürst jedenfalls wurde nicht mit Acht und Bann belegt, sondern konnte seine Reformation fortsetzen – was kann man auch gegen biblisch begründete Aussagen einwenden!
Der Heidelberger Katechismus war bald europaweit verbreitet, 1619 wurde er auf der europäischen reformierten Synode zu Dordrecht zur Bekenntnisschrift erklärt, und noch heute gibt er den weltweit über 100 Millionen reformierten Christen Mut und Zuversicht im Leben und im Sterben. Denn als Erlöste brauchen wir nichts und niemanden zu fürchten, und weil wir einen Herren haben, Jesus Christus, kennen wir keinen Menschen, der über uns stünde. Hat nicht Jesus sinngemäß gedroht: Wer unter euch groß sein will, der soll klein gemacht werden?!
Der HK ist die wichtigste reformierte Bekenntnisschrift geworden. Bekenntnisschriften aber sind für uns grundsätzlich revidierbar, was Reformierte von z. B. Lutheranern unterscheidet; sie sehen die 1555 verabschiedet Confessio Augustana als unveränderbar und zitieren aus ihr wie aus der Bibel. Die Barmer Erklärung von 1934, die Leuenberger Konkordie von 1973 haben heute in der Reformierten Weltfamilie ebenfalls den Rang von Bekenntnisschriften. Wie in Südafrika das Bekenntnis von Belhar (1986), haben auch andere Reformierte Kirchen eigene Bekenntnisschriften erarbeitet.
Denn eine Kirche, die sich nicht erneuert, sich nicht auf die sich ändernden Zeiten einstellt, erstarrt. Nur eine lebendige Kirche hat auch lebendige Glieder – wie umgekehrt lebendige Glieder die Kirche, die Gemeinde lebendig halten. Weil aber „der Sohn Gottes sich eine auserwählte Gemeinde ... durch seinen Geist und Wort versammelt, schützt und erhält,“ sind und bleiben wir lebendige Glieder, die ihre Gaben „willig und mit Freuden“ in der Gemeinde anlegen.