''Arbeit macht frei''

Peinliche Fehlurteile: Calvin als Vater der deutschen Vernichtungslager

Wie sehr Calvin für einige Pseudogebildete zum Inbegriff alles Bösen wird, zeigt ein Beitrag von dem Pseudonym "mausebär' unter der Überschrift "Arbeit ist Scheiße - immer und überall". 'mausebär' meint in Calvin den Erfinder der Arbeit ausfindig gemacht zu haben - schließlich sei der auch an allzu viel Arbeit gestorben. Sodann zieht 'mausebär' eine Linie von Calvin zu „Arbeit macht frei“ über den deutschen Vernichtungslagern und attestiert Calvins angeblichem 'Gottesstaat' in Genf eine faschistische Motivlage. Kategorie: Pseudonymer Bildungsverfall

"Weniger idyllisch stellen sich denn auch die Verfechter des kapitalistischen Geistes dar. Beispielhaft sei hier eine der widerwärtigsten Gestalten der Menschheitsgeschichte vorgestellt: der reformatorische Prediger Johannes Calvin (1509-1564), ein kaltherziger, gegen sich selbst und gegen andere unglaublich strenger Workaholic, ein ideologischer Hetzer gegen Schönheit und Genuß, ein fanatischer Verfechter der protestantischen Arbeitsethik.
Schon im vermeintlich rein religiösen Bereich zeigt sich die Zwanghaftigkeit seiner Lehre: Sünden, Anfechtungen, aber auch religiöse Fortschritte seien in einem Tagebuch zu verzeichnen, es wird also eine sittliche Buchführung etabliert.
Calvin ist Verfechter der sog. Prädestinationslehre. Die besagt: Gott bestimmt vorher, wer gut und wer böse ist, wer also gerettet werden kann und wer ewige Verdammnis erleidet (Dordrechter Lehrsätze, Westminster Confession). Der Mensch kann nicht wissen, ob er erwählt ist, oder nicht. Die Calvinisten werden also ihr ganzes Leben lang von Ungewißheit gequält, ob sie nun erwählt sind, oder nicht. Sie versuchen demzufolge, sich an irgend etwas in ihrem irdischen Leben zu klammern, was einen Hinweis auf Erwähltheit bietet. Da Arbeit das gottgefällige Werk an sich ist und sich abrackern, ohne sich über das notwendigste hinaus materielle Annehmlichkeiten zu gönnen, erst Reichtum schafft, ist klar, dass Reichtum, der sinnlich nicht genossen werden darf, dieses Kriterium der Erwähltheit wird. Wer also durch Arbeitsausübung sichtbaren Erfolg in der Welt hat (noch mal: das setzt voraus, dass er die Früchte seiner Arbeit nicht verprasst, sondern für die Ermöglichung von Mehrarbeit einsetzt), der hat damit, trotzdem er die Erwählung nicht erzwingen kann, einen Hinweis auf seine Erwähltheit. (s. dazu Christoph Türcke, Sexus und Geist: Philosophie im Geschlechterkampf, zu Klampen, 2001, S. 191) Wichtig für den take off des Kapitalismus ist dieser absolute Selbstzweck: Man weiß, dass man Gottes ewigen Ratschluß nicht umstoßen kann, auch durch keine noch so harte Arbeit und doch müssen alle kirchlichen Regeln befolgt werden, muß bis zum Tod geschuftet werden, auch und gerade von denen, die verworfen sind. Gerade in dieser Unerforschlichkeit, dieser irdischen Ungerechtigkeit liegt nach Meinung der Calvinisten die Herrlichkeit Gottes.
Erfolg als Reichtum anzuhäufen, diesen aber nicht zu genießen, sondern zum Ausgangspunkt weiterer Plusmacherei zu erheben, um sich gottgefällig zu verhalten, über diesen religiösen Mechanismus, wird das in-Gang-Kommen des Automatismus’ der Wertproduktion wesentlich gefördert. Man bemüht sich quasi um eine Heiligung des eigenen Lebens, ja, um eine Erlösung durch Arbeit. Ich denke, es ist nicht falsch, von Calvins Lehre eine Linie zu „Arbeit macht frei“ über den deutschen Vernichtungslagern zu ziehen. Das Selbstzweckmotiv taucht dann später beim Begründer des deutschen Gesamtkunstwerks, dem ausgewiesenen Antisemiten Richard Wagner auf: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen treiben.“ – Biographen sind sich übrigens einig, dass Johannes Calvin an zu viel Arbeit starb – ein erster Fall von karoshi also, dieser mysteriösen, in Japan aufgetretenen Krankheit „Tod durch Arbeit“.
(Nebenbei: Auch das wäre der Redaktion der Zeitschrift „Bahamas“ und ihrer innigen Preisung der Aufklärung mal vorzuhalten. Ganz davon abgesehen, dass Calvin, der das Luthertum radikalisiert hat und damit sehr wohl die alte erstarrte, kapitalismusinkompatible, katholische Religion kritisiert und damit geholfen hat, zivilisatorische Maßstäbe in der Gesellschaft zu etablieren, das große Ziel hat, eine Reformation der Gesellschaft nach der Norm der heiligen Schrift ins Werk zu setzen – kein islamistischer also, sondern ein christlicher Gottesstaat (s. das Stichwort „Calvin“ in der Theologischen Realenzyklopädie). So vertritt er bspw. die Ausübung der Kirchenzucht (strenge Überwachung der Lehre der Prediger und auch des sittlichen Lebens der Bürger); das gesamte gesellschaftliche Leben ist genau zu kontrollieren: es gibt Strafen für Ehebruch, Prostitution, Fluchen und Spotten, unerlaubten Luxus, leichtsinnige Lebensführung und den Besitz katholischer Bücher. Überhaupt haben die radikalreformatorischen Bewegungen (bspw. die dem gemäßigten Luther gegenüberstehende Bauernbewegung um Thomas Müntzer) sehr Ähnliches im Sinn wie Calvin. Betteln, Bordelle usw. werden mit der Begründung abgeschafft, die jeweilige Stadt von allem Makel zu befreien und die Reinen nicht von den Unreinen verderben zu lassen – dieses Motiv der Reinerhaltung, des Freien, zu Überschauenden ist ein eindeutig faschistisches Motiv. (vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien Bd. 2, April 1995) Ich sehe hier nur quantitative Unterschiede zu heutigen faschistischen Regimes in islamischen Gottesstaaten.)"

 

Quelle: www.conne-island.de/nf/89/22.html
 


Achim Detmers
 

Nach oben   -   E-Mail  -   Impressum   -   Datenschutz